Weiskerns Nachlass
absurd verteuern, die viel Geld hinlegen und nichts anderes mit ihnen anzufangen wissen, als sie in einen Glasschrank zu stellen und bewundern zu lassen. Sie wollen die Bücher bewundern lassen, vor allem aber sich selbst, die Besitzer solcher erlesenen Kostbarkeiten. Wenn die Briefe bei einem Sammler landen, verschwinden sie erneut, geraten sie wieder in das Dunkel einer ungeahnten, der Öffentlichkeit unbekannten Existenz. Allein der Sammler hat Kenntnis von ihnen, bis auch er sie vergisst und von dem einzelnen Schatz unter all seinen Schätzen nichts mehr weiß. Dann werden sie in den Besitz eines Erben übergehen, dem die Papiere persönlich nichts bedeuten, der sie vielleicht, weil sie nur Platz kosten, zum Trödler bringt oder in den Müll wirft.
Im Internet gibt er den Namen Aberte ein, findet aber keine weiterführende Spur, nichts Brauchbares. Unter dem Stichwort Dorotheum eröffnen sich viele Seiten, er kann die Öffnungszeiten und Auktionstermine eruieren, aber eine Namensliste der Gutachter wird nicht angeboten, und auch unter Professor Ferdinand Koenig findet er nur für ihn nutzlose, abseitige Angebote.
Er entschließt sich, Jürgen Richter zu schreiben, er muss den Frankfurter Verleger dazu bringen, die Briefe zu kaufen. Er geht ins Arbeitszimmer, setzt sich an den Schreibtisch und entwirft den Brief. Er erläutert Richter ausführlich das überraschende Angebot und bittet ihn, die Briefe zu ersteigern oder sie direkt anzukaufen, wobei er ihm behilflich sein könnte. Er druckt den Brief aus,liest ihn aufmerksam durch und korrigiert ihn, bevor er ihn nochmals druckt. Richter ist ein merkwürdiger und schwieriger Mann, er will keinen Fehler machen, denn er ist vermutlich der Einzige, der ihm helfen kann. Er zieht eine Jacke an, um das Schreiben in den Briefkasten zu stecken. Beim Verlassen der Wohnung schaut er in den Spiegel, kehrt um, zieht den Mantel mit dem breiten Kragen an und setzt sich eine Mütze auf. Den Kragen schlägt er hoch, so dass von den Blessuren kaum etwas zu sehen ist.
Das Fahrrad lässt er stehen, er geht zu Fuß.
»Zahnschmerzen?«, fragt ihn die Verkäuferin im Schreibwarengeschäft, in dem er auf dem Rückweg vorbeischaut.
Er hält den hochgeschlagenen Kragen mit einer Hand dicht an der Wange und nickt. Mit der anderen Hand holt er sein Portemonnaie aus der Tasche, öffnet es und bezahlt, was etwas umständlich und langwierig ist, aber er will die andere nicht von der Wange nehmen.
Zu Hause setzt er sich an den Schreibtisch. Er muss längst fällige Gutachten zu den Abschlussarbeiten schreiben, einen Stapel Klausuren durchsehen, für Frieder Schlösser endlich den Antrag für die Konferenz zur Sprachkritik formulieren, die für das nächste Jahr in Wrocław geplant ist, und er hat die nächsten zwei Seminare vorzubereiten. Und außerdem sind noch drei Artikel zu schreiben, die er einem Redakteur beim Funk und einem anderen bei der Zeitung versprochen hatte und für die er ein Honorar bekommen wird. Nach fünf Minuten ist er jedoch mit seinen Gedanken wieder bei dem Angebot von Aberte. Er nimmt nochmals das Gutachten in die Hand und stutzt. Ihn verwirrt, was ihnvor Stunden noch besonders überzeugend erschien: der amtliche Briefkopf des Auktionshauses. Wenn der Gutachter, dieser Professor Koenig, ein Mitarbeiter des Dorotheums ist, wieso schreibt er dann ein Gutachten auf einem solchen Bogen? Das Schreiben ist an die Direktion des Hauses gerichtet und nur für diese bestimmt, dazu braucht es keinen Kopfbogen. Wenn er aber kein Angestellter des Dorotheums ist, wenn er als externer Spezialist herangezogen wurde, um ein eingereichtes Objekt zu prüfen, wäre der Briefkopf noch rätselhafter. Aber vielleicht ticken die Uhren in Wien anders, vielleicht verkehrt man dort innerhalb eines Hauses etwas förmlicher als hierzulande, wo man in der Hauspost die Titel weglässt, was in Österreich sicher eine Todsünde ist.
Er öffnet den Brief von Aberte, um ihm zu antworten. Er dankt für das Gutachten und bekundet nochmals sein Interesse am Ankauf. Er habe, schreibt er, seine Institutsleitung heute Morgen mündlich darüber informiert, auch über den Preis, und werde noch heute den Kaufantrag mit dem übersandten Gutachten einreichen. Er habe die Entscheidung abzuwarten, die, so sei ihm versichert worden, kurzfristig erfolgen werde, da dieser Ankauf nicht über Drittmittel erfolgen müsse. Er bitte Aberte um ein wenig Geduld. Ein Mitarbeiter des Instituts werde sich vermutlich in den
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