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Weiskerns Nachlass

Weiskerns Nachlass

Titel: Weiskerns Nachlass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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nächsten Tagen im Auftrag von Professor Schlösser, dem Institutsleiter, bei ihm melden, um die Blätter zu begutachten. Es könne sein, dass Professor Schlösser ihn selbst damit beauftragen werde, es sei sogar zu vermuten, da er bekanntlich Leben und Werk von Friedrich Wilhelm Weiskern am besten kenne. Er liest den Brief mehrmals durch, allesklingt seriös und hochschulmäßig, mehr kann dieser Conrad Aberte nicht erwarten, er musste wissen, dass Gelder in öffentlichen Institutionen langwierige Wege nehmen, ehe sie den Empfänger erreichen. Er ist mit dem Brief zufrieden und schickt ihn ab. In ein paar Tagen wird er Aberte seinen Besuch ankündigen und dann die Briefe sehen können. Er hofft, dass Aberte in der Nähe wohnt, eine Adresse von ihm war weder in seinen eigenen Schreiben noch in dem Gutachten des Auktionshauses angegeben, doch auch wenn er tausend Kilometer fahren muss, wird er sich, sobald Conrad Aberte ihm einen Termin nennt, auf den Weg machen.
    Er überlegt, ob er sich von Frieder Schlösser ein Schreiben geben lassen soll, mit dem er die Behauptungen in seiner E-Mail beglaubigt. Er müsste Schlösser dann etwas von dem Fund erzählen und, ohne etwas von dem geforderten Kaufpreis zu sagen, ihn bitten, ein Interesse des Instituts an den Weiskern-Briefen anzumelden. Dieses Schreiben der Institutsleitung würde er selbst aufsetzen und es Schlösser zur Unterschrift geben, so dass die für beide Seiten richtigen Worte darin zu finden wären. Schlösser durfte nichts von dem unverschämt hohen Kaufpreis erfahren, Aberte wiederum sollte nicht mitbekommen, dass Schlösser nichts von dem Geld wusste. Er sah keinen Grund, warum Schlösser ihm dieses Schreiben verweigern sollte. Betrug, sagte er sich, ist es nicht, es ist nur nicht die volle Wahrheit, und falls sich dieser Aberte direkt an Schlösser wendet, könnte ihm der Chef kaum einen Vorwurf machen, da sein privates Interesse an den Weiskern-Briefen unstrittig war und er keineswegs seine privaten Interessen unzulässig mit der beruflichen Stellung und dem Institutverknüpft, zumal seine Forschungen zu Weiskern in den vergangenen Jahren Bestandteil seines Unterrichts waren.
    Patrizia ruft an und fragt, wie es ihm geht. Sie will wissen, ob sie sich am Abend sehen, ob sie heute den ausgefallenen Kinobesuch nachholen, aber er will mit seinen rotblauen Blessuren nicht unter Leute und vertröstet sie.

Zehn
    Zur Fahrt ins Institut setzt er den Fahrradhelm auf, den er an jenem unglücklichen Nachmittag vergessen hatte. Vor dem Spiegel in der Wohnung drückt er ihn behutsam auf den Kopf, um keine der Wunden zu berühren. Auf der Straße bemerkt er, dass er sich vorsichtiger als sonst verhält, an den Straßenecken stärker als früher abbremst, dass er beständig Ausschau hält. Der Überfall hat ihn nicht verängstigt, aber er will nicht nochmals leichtfertig in eine solche Situation kommen. Die Eisenkette mit Handgriff hat ihn schockiert. Der Schlag mit dieser Kette hätte wirkliches Unheil anrichten können, er will nicht darüber nachdenken. Er ist keine dreißig mehr, er steckt solche Tiefschläge nicht einfach weg und vergisst sie, er weiß, sie werden ihn beschäftigen, er wird sich immer wieder daran erinnern. Mehr als früher wird er auf der Hut sein, umsichtiger sein, aufmerksamer. Und wenn ihn bislang nur bestimmte Gruppierungen von Jugendlichen argwöhnisch machten, junge Männer ab siebzehn, achtzehn, mit einem etwas martialischen Auftreten und raumgreifenden Gebärden, die sich lauthals unterhielten und sich bewegten, als gehöre ihnen die Stadt oder doch die Straße, musste er nun seinen Maßstab eines Bedrohungspotentials korrigieren. Kinder ab zwölf können eine Bedrohung sein, sagt er sich, Jungen oder Mädchen, und sie müssen keine Glatzen haben, keine Springerstiefel, keine Tätowierungen, eskönnen ganz entzückende junge Leute sein, die man eher bei einem Kindergeburtstag vermutet als bei einer Straßengang.
    Nach dem Seminar, keiner der Studenten hat seine Lädierungen angesprochen, aber sie hatten sie amüsiert registriert, geht er zum Chef und bittet ihn um ein Schreiben an Aberte. Schlösser ist einverstanden und sagt ihm, er möge den Text selbst aufsetzen. Als Stolzenburg den Brief aus der Jackentasche holt, verweist er an Sylvia, die ihn abschreiben soll, er würde ihn gleich unterschreiben. Als Stolzenburg das Zimmer verlassen will, erkundigt sich Schlösser nach den rotblauen Flecken im Gesicht.
    »Ein dummer Sturz mit dem

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