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Weiskerns Nachlass

Weiskerns Nachlass

Titel: Weiskerns Nachlass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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zusammen, haben miteinander geschlafen, versprochen hatte er ihr nie etwas, im Gegenteil. Bindungsunfähig, dieses Wort hat er in einer Frauenzeitschrift beim Zahnarzt gelesen, sich darüber amüsiert, und seitdem charakterisiert er sich mit diesem Wort, wann immer eine Frau bei ihm einziehen will oder engeren Kontakt suchte, als ihm recht war, und genau das hatte er auch Patrizia gesagt, als sie vor einem Vierteljahr vorschlug, zusammenzuziehen, um Mietkosten zu sparen.
    »Ach so, der Herr ist bindungsunfähig, aber bettfähig«, hatte sie giftig gehöhnt, und er hatte grinsend erwidert: »Andersrum wäre es dümmer, auch für dich.«
    Er denkt an Henriette, er hat das Gefühl, sie ist die Frau, mit der er zusammenleben könnte. Sie hat verlangt, dass er reinen Tisch macht, dass er seine Beziehungen klärt, und das bedeutete, dass sie es mit ihm versuchen würde, warum sonst sollte sie es von ihm fordern. Heute Abend wird er sich ein letztes Mal mit Patrizia treffen, und dann kann er Henriette anrufen. Er könnte sie noch heute Abend anrufen, wenn er mit Patrizia gesprochen hat, er könnte sie anrufen, selbst wenn es spät wäre, der reine Tisch würde einen nächtlichen Anruf entschuldigen. Es würde sie vielleicht freuen und von seiner Ernsthaftigkeit überzeugen, andererseits wirkt es möglicherweise seriöser, wenn er noch ein paar Tage wartet.
    Aberte fällt ihm ein. Vielleicht war er einer der beiden, die gleich nach dem Kommissar das Hotel verließen, der Kerl, der ihn betrügen wollte. Vermutlich sitzt er im Augenblick in seiner Zelle und denkt an ihn, an den Weiskern-Forscher, den er um ein paar Tausend Euro erleichtern wollte und durch den er in die Fänge der Polizei geraten ist. Hittich hatte von organisierter Kriminalität gesprochen, von einem möglichen Bandendelikt, und für einen Moment wird er unruhig. Falls es wirklich eine Bande von Kriminellen ist, die diese ungewöhnliche Abzocke betreibt, und es ist denkbar, zumal ihre Opfer, gutgläubige Wissenschaftler, die in ihren Forschungsgegenstand vernarrt sind, bei einem verlockenden Angebot bisher unbekannter historischer Dokumente alle Vorsicht fahren lassen und blind einem hoffnungsvollen Fund hinterherjagen, falls also wirklich mehrere Personen hinter diesem Aberte stecken, wie der Kommissar andeutete, so hat er möglicherweise jetzt ihre Rache zu fürchten, denn er war es, der das Auktionshaus und die Polizei aufmerksam gemacht hatte. Wenn sein Name bei der Untersuchung oder vor Gericht genanntwird, könnte es sein, dass einer der Männer von Aberte ihn aufsucht. Dann schüttelt er über sich den Kopf, er hat sich in diese dumme Geschichte hineinziehen lassen und ist offenbar dabei, hysterisch zu werden.
    Zwanzig vor sieben steht er vor Patrizias Salon, sie sieht ihn durch die große Fensterscheibe und kommt ihm auf die Straße entgegen. Als sie ihn küssen will, wehrt er ab, und sie mustert ihn misstrauisch. Daraufhin umarmt er sie rasch und küsst sie. Sie schlägt vor, ins Kino zu gehen, eine Kundin hatte von einem Film geschwärmt, doch er sagt, er habe einen so bunten Tag gehabt, er sei nicht in der Lage, sich jetzt auch noch fremde Geschichten anzusehen und anzuhören. Als sie nachfragt, winkt er ab, er hat ihr nichts von Aberte erzählt und will nun, nachdem es ausgestanden ist, nicht noch einmal darüber reden. Sie gehen in ein Restaurant, er bestellt Wein, eine ganze Flasche, und als der Kellner die Gläser bringt und die Flasche entkorkt, bestellen beide Pasta. Er stößt mit ihr an und sagt jenen kleinen irischen Trinkspruch, der, seit sie einen Film über die Auswanderer von Dublin gesehen haben, zwischen ihnen zur Gewohnheit geworden war, doch sie erwidert ihn nicht, sondern sagt nur: »Du willst dich von mir trennen.«
    Er schaut sie überrascht an und will im ersten Moment protestieren, dann sagt er: »Ja.«
    Sie nippt an dem Wein und schweigt.
    Noch immer überrascht fährt er fort: »Woher wusstest du …«
    »Ich bin nicht so dumm, wie du denkst. Ich habe es sofort gespürt. Und ich merke schon seit ein paar Wochen, dass du mich loswerden willst.«
    Sie schaut ihn an und wartet auf eine Antwort, docher schaut nur schweigend zurück. Sie nippt nochmals an dem Glas und stellt es auf den Tisch zurück: »Der Wein schmeckt nicht, der ist nicht in Ordnung. Den solltest du zurückgehen lassen.«
    Sie steht auf und nimmt ihren Mantel: »Bleib nur sitzen. Ich habe noch ein wenig Kosmetik in deiner Wohnung, die kannst du mir im Geschäft

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