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Weiskerns Nachlass

Weiskerns Nachlass

Titel: Weiskerns Nachlass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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beneidet, beneidet um ihre finanzielle Sorglosigkeit, und er bemerkt, dass nicht nur Neid in ihm hochkommt,vielmehr Hass, ein unsinniger, dummer, unbeherrschbarer Hass. Stolzenburg geht ins Badezimmer, nimmt die Dusche und lässt kaltes Wasser über sein Gesicht laufen. Das Hemd und die Hose werden besprüht, die Schuhe werden nass, es ist ihm gleichgültig, er will mit allen Mitteln einen klaren Kopf bekommen und diese unsinnigen Gedanken und Gefühle loswerden.
    Schlösser ist freundlich, als er ihn begrüßt, aber Stolzenburg bemerkt, dass der Chef verlegen ist. Er erkundigt sich nach den Seminaren und fragt, wie weit er mit seinem Teil am Modulhandbuch sei. Stolzenburg antwortet einsilbig, dann beschließt er, den Stier bei den Hörnern zu packen, und spricht selbst den neuen Semesterplan an.
    »Gibt es für dich ein Problem?«, erkundigt er sich gereizt. »Sind es meine Veranstaltungen zur Aufklärung? Ja, ich fange mit Konfuzius an. Wir können nicht die europäische Aufklärung behandeln und alles übersehen, was vor der Aufklärung geleistet wurde. Und da steht nun einmal Konfuzius im Raum. Ich werde mit ihm beginnen.«
    »Schön, Rüdiger. Ich weiß ja, Konfuzius ist dein Hobby.«
    »Nein, er ist nicht mein Hobby. Konfuzius ist ein einsamer Leuchtturm der Aufklärung zwei Jahrtausende vor der Aufklärung, nur darum habe ich ihn dabei und kann nicht auf ihn verzichten.«
    »Gut, einverstanden.«
    »Du bist einverstanden?«
    »Ja, sagte ich doch.«
    »Wunderbar. Ich bin überrascht. Vor zwei Jahren noch …«
    »Man lernt dazu. Wenn ich es einrichten kann und es dir recht ist, komme ich zu deinem einführenden Vortrag.«
    »Und warum hast du mich rufen lassen?«
    »Es geht um die Konferenz zur Sprachkritik.«
    »Was ist damit? Hat Wrocław wieder kein Geld? Müssen wir ihren Anteil übernehmen?«
    »Ich weiß es nicht. Von Wrocław weiß ich nichts. Wir haben kein Geld, Rüdiger.«
    »Bitte? Was heißt das?«
    »Das Geld wurde nicht bewilligt. Vor vierzehn Tagen ist der Bescheid gekommen. Ich bin danach zweimal im Rektorat gewesen, man ist nicht bereit, sich auch nur einen Zentimeter zu bewegen, es gibt keinen einzigen Cent. Dass es mittlerweile die fünfte Konferenz in Folge wäre, dass Absprachen mit Wrocław bestehen, wir den beiden Partneruniversitäten verpflichtet sind, es interessiert nicht.«
    »Du streichst diese Konferenz? Warum? Wir hatten beste Resonanz. Mit keiner anderen Reihe hatten wir mehr Öffentlichkeit.«
    »Ich streiche nichts, aber ich kann auch nichts bewilligen. Ich habe kein Geld. Für das kommende Jahr hat unser Institut keinen Cent für irgendwelche Initiativen.«
    «Aber wieso die Sprachkritik? Weißt du, was alles ich dafür bisher an Arbeit investiert habe? Das Programm steht, die Rednerliste, die Tagungsräume sind ausgewählt.«
    »Wir können keine einzige Konferenz ausrichten, Rüdiger. Nicht eine. Alles geht über den großen Topf, mit den Mitteln des Instituts kann und darf ich nicht mehr eine einzige Tagung finanzieren. Ich muss alles beantragen und abwarten und mich fügen. Und die Wrocław-Konferenz ist definitiv gestrichen, auch weil wir vor zwei Jahren den polnischen Anteil übernehmen mussten.«
    »Und jetzt?«
    »Versuch, Drittmittel aufzutreiben. Ich weiß allerdings nicht, woher noch etwas kommen könnte. Oder bring Wrocław dazu, diesmal den deutschen Anteil zu übernehmen.«
    »Werd nicht albern. Die Polen haben zugesichert, dieses Jahr ihren Anteil zu bezahlen, aber wenn die hören, dass von unserer Seite nichts kommt, dann können wir auch das vergessen.«
    Schlösser nickt verständnisvoll und schweigt. Da auch Stolzenburg nichts sagt, zieht er mit einem Finger ein Papier zu sich heran und liest es, das Gespräch scheint für ihn beendet zu sein.
    »Und was soll ich jetzt tun, Frieder? Den Referenten mitteilen, sie können sich ihre Vorträge sonst wohin stecken?«
    »Sag ihnen, aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Sobald sich die Haushaltslage verbessert, werden wir uns auch deine Konferenz leisten können. Die Sprachkritik, das verspreche ich dir, wird die erste Tagung sein, die allererste, die dann über die Bühne geht. Du hast mein Wort.«
    »Weißt du, daß damit jede Möglichkeit zu internationaler Wirkung vertan ist, wir zur wissenschaftlichen Provinz werden?«
    »Das ist mir klar. Du ahnst nicht, was ich alles unternehmen muss, um überhaupt die Existenz unseres Instituts zu retten. Woche für Woche spiele ich den Bittsteller, klopfe überall an,

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