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Weiskerns Nachlass

Weiskerns Nachlass

Titel: Weiskerns Nachlass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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anhören müssen, aber für Sie bin ich ein menschliches Ungeheuer, schlimmer als ein Krimineller. Das hatte ich, ehrlich gesagt, nicht erwartet, da ich Ihnen nur die frohe Botschaft des Finanzamts mitteilen wollte.«
    »Entschuldigen Sie. Sie haben recht. Sie haben mir geholfen, und ich beschimpfe Sie, das ist unverzeihlich.«
    »Sie müssen sich nicht entschuldigen. Sie sagen schließlich nur, was Sie denken. Vielleicht liegt hier die eigentliche Ursache Ihrer Finanznöte: immer sagen, was man denkt.«
    »Ich entschuldige mich nochmals. Und ich danke Ihnen. Ich danke Ihnen sehr. Tut mir leid, Herr Gaede, Sie haben mich provoziert. Ich werde jetzt gehen. Vielleicht gibt es etwas, was ich für Sie tun kann.«
    Noch immer lächelnd begleitet ihn Gaede zur Tür. Er reicht ihm die Hand und bietet ihm bei Bedarf seine Hilfe an: »Melden Sie sich, wann immer Sie mich brauchen. Es ist mir ein Vergnügen, mich mit Ihnen zu unterhalten, Herr Stolzenburg. Und grüßen Sie Marion. Sie beide müssen sich doch wunderbar verstehen.«
    Als Stolzenburg nach Hause radelt, geht ihm das Gespräch durch den Kopf. Es ist ihm im Nachhinein peinlich, er hat den jungen Mann verunsichern wollen wie einen seiner Studenten. Er wollte ihn belehren und war doch auf ihn angewiesen. Gaede wird sich vor Lachen den Bauch halten, mit ihm ergeht es ihm wie mit Hollert, mit Sebastian Hollert. Was immer er ihm sagt, auf den jungen Mann wartet ein väterliches Vermögen, das seine Lebenseinstellung, seine Ideale und Werte obsolet und lächerlich macht. Gaede und Hollert haben nicht seine Sorgen, werden sie nie haben, er sollte sich von ihnen unterrichten lassen. Wütend tritt er in die Pedale. Einen Ratenplan hat er aufzusetzen, eine Offenbarung seiner Zahlungsunfähigkeit, und dann zu hoffen, dass irgendein Beamter ihn gnädig akzeptiert und keine weiteren Zeugnisse seiner Bedürftigkeit verlangt.

Sechzehn
    Beim Aufschließen der Wohnungstür hört er das Telefon klingeln. Sylvia ruft an, sie habe schon mehrfach versucht, ihn zu erreichen, Schlösser wolle ihn am Nachmittag sprechen, zwischen zwei und drei.
    »Hat er gesagt, worum es geht?«
    »Keine Ahnung, Rüdiger, aber ich vermute, um deine Seminare im kommenden Semester, jedenfalls hat er sich heute mit euren eingereichten Projekten beschäftigt.«
    »Will er außer mir noch jemanden sprechen?«
    »Nein. Bisher nicht. Alles andere hat er wohl akzeptiert.«
    »Also werde nur ich vorgeladen? Sind es meine Veranstaltungen zur Aufklärung? Hat er was über meine Chinesen gesagt?«
    »Mir hat er gar nichts gesagt. Nur dass er dich sprechen will.«
    »Ich bin um drei bei ihm. Eine halbe Stunde wird ja reichen, dann kann ich um halb vier in mein Seminar gehen.«
    »Komm bitte etwas eher, der Chef hat nach drei Uhr noch zwei Termine.«
    Am Abend wird er Henriette sehen, so haben sie es in der letzten Woche verabredet, und er will sie nicht anrufen, er fürchtet, sie könnte es sich anders überlegen. Er hofft, dass sie ihn nicht versetzt. Die Hiobsbotschaftender letzten Wochen, dachte er, waren ausreichend, nach dem Gesetz der Serie müsste langsam irgendwo Land zu sehen sein, und Henriette wäre ein wundervolles Eiland. Bevor er sich an den Schreibtisch setzt, ruft er Marion an, fragt nach einem bestellten Titel und erkundigt sich, ob sie mit Henriette gesprochen hat.
    »Sicher«, sagt Marion, »wir haben uns getroffen, aber wir reden nicht unentwegt über dich, auch wenn du das für einen Fehler hältst.«
    »Hat sie nichts gesagt?«
    »Rüdiger, was ist los? Habt ihr euch gezankt? Redet ihr nicht miteinander?«
    »Nein, nein, alles in Ordnung.«
    »Dann frag mich nicht aus.«
    »Ich dachte nur … Ich sehe Henriette heute Abend.«
    »Grüß sie von mir.«
    Er nimmt die Formulare aus der Tasche, die ihm Klemens Gaede gegeben hat, und liest sie durch, setzt sich an den Schreibtisch und entwirft einen Ratenplan. Als monatliche Abzahlung setzt er die Zahl zweihundert ein, dann korrigiert er sie und schreibt einhundertachtundneunzig, eine solche Summe macht seine finanziellen Schwierigkeiten glaubwürdiger. Ein paar Wochen hat er wohl mit der ersten Rate noch Zeit, sagt er sich, bevor das Finanzamt sein Angebot nicht akzeptiert hat, muss er nicht zahlen. Er unterschreibt den Brief und steckt ihn ins Kuvert, dann sucht er seine Unterlagen für das Seminar zusammen und geht sie durch, aber er vermag sich nicht zu konzentrieren. Immer wieder muss er an Gaede und Hollert denken, er spürt, dass er sie

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