Weiß (German Edition)
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Lewin versuchte, sich auf den unausweichlichen Schlag vorzubereiten. Er drückte seinen Kopf tief zwischen die Schultern, zog die Knie an den Bauch und hielt die Hände notdürftig über den Kopf.
Eine Sekunde später stockte Lewin der Atem.
Er hatte sich auf eine Explosion in seinen Eingeweiden eingestellt, hatte den Schmerz beinahe schon fühlen können, aber er war nicht darauf eingestellt gewesen, plötzlich zu erblinden.
Wer auch immer sich dort vor ihm in der Finsternis versteckte, zauberte plötzlich eine Sonne aus dem Nichts hervor, deren grellweißes Licht sich ohne Umschweife direkt in Lewins Netzhäute brannte. Unwillkürlich musste er an die dünnen Plastikverpackungen von Zigarettenschachteln denken. Wie sie sich über der Flamme eines Feuerzeugs erst langsam, dann immer schneller zusammenrollten und dabei einen beißend scharfen Geruch erzeugten.
Nach dem Abklingen des ersten Schocks, merkte Lewin, dass er nicht blind war. Seine Augen reagierten durch die andauernde Dunkelheit nur extrem empfindlich. Schützend hob er seinen rechten Arm vors Gesicht und drehte den Kopf so, dass er nicht mehr direkt in die Taschenlampe seines Gegenübers starrte.
Sein Blick glitt über den Boden in die Richtung, aus der das Licht kam. Er sah ein paar zerschlissene Turnschuhe, die ihm seltsam bekannt vorkamen. Außerdem glaubte er eine ausgewaschene Jeans zu erkennen. Alles oberhalb der Jeans blieb seinem Blick verborgen, da der weiße Lichtkegel noch immer direkt auf ihn gerichtet war.
Lewin hörte j etzt wieder das Kichern, in das sich immer wieder ein leichtes Glucksen mischte. Die Geräusche erinnerten ihn an ein kleines Mädchen.
Er entspannte sich. Vor ihm konnten unmöglich Kneif, Simon oder einer der Anderen stehen. Auch der Rollaschek konnte es nicht sein. Der Rollaschek kicherte nicht. Der Rollaschek lachte ja nicht einmal. Außerdem hätte dieser ihm längst auf die Beine geholfen und würde ihm nicht mit einer Taschenlampe die Tränen in die Augen treiben.
„Na, du lieferst ja echt eine gnadenlos gute Show!“
War er sich bis eben noch nicht ganz sicher gewesen, so hatte Lewin nun die Gewissheit, dass vor ihm jemand stand, den er unmöglich kennen konnte.
Die Stimme war zwar rau, aber trotzdem eindeutig weiblich. Lewin hörte einen leichten Akzent, den er jedoch nicht einordnen konnte. Er hätte ebenso gut slawisch wie auch arabisch sein können.
Als das Kichern erneut einsetzte, unterbrach Lewin seine Überlegungen. Ihm wurde bewusst, was für ein lächerliches Bild er gerade abgeben musste. Noch immer hockte er auf seinem Hintern und hielt die Hände schützend über dem Kopf verschränkt. Rasch bemühte er sich um eine entspannte Haltung, was ihm allerdings nicht halb so gut gelang wie er es gern gewollt hätte.
„Wer bist du?“ fragte er und stellte zu seinem Entsetzen fest, dass seine Stimme wie die eines Dreijährigen klang.
Lewin räusperte sich. Die Unbekannte kicherte noch einen Moment und entschloss sich dann endlich dazu, die Taschenlampe aus Lewins Gesicht zu nehmen. Stattdessen richtete sie den Lichtstrahl nun auf ihr eigenes Gesicht. Dabei hielt sie die Lampe so, dass das Licht von unten auf sie fiel und es kaum möglich war, tatsächlich etwas zu erkennen. Flackernde Schatten tanzten über ihr Gesicht und Lewin fühlte sich seltsam unbehaglich.
„Ich bin Lydia“, sagte die Unbekannte und hickste. Dann brach sie erneut in Gelächter aus und schüttelte ihr langes Haar. Im zuckenden Licht der Taschenlampe wirkte sie wie eine geisteskranke Medusa.
Lewin schluckte und warf einen Blick durch den Laden. Offenbar waren er und die Unbekannte allein. Wo war nur der Rollaschek?
Das Gekicher vor ihm hörte schlagartig auf und die Fremde schien sich zu beruhigen. „Sorry, falls ich jetzt ein bisschen hysterisch gewirkt habe. Aber du hast echt zu lustig ausgesehen. Mein Onkel hat mir ja schon viel von dir erzählt, aber mit so einem Auftritt hatte ich nicht gerechnet.“
Sie kicherte erneut, schien es dieses Mal jedoch zurückhalten zu wollen, was Lewin nur recht war.
Plötzlich ging ihm auf, dass sie ihn bereits die ganze Zeit beobachtet haben musste, wie er auf allen Vieren den Boden abgesucht hatte und dabei immer wieder kurz davor gewesen war, das Bewusstsein zu verlieren. Bei dem Gedanken daran konnte auch er sich ein Lächeln nicht länger verkneifen. Gleichzeitig fühlte er, wie sich die Schamesröte langsam, aber dafür umso heißer, in seinem Gesicht
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