Weiß (German Edition)
verzog sich Lewin Gesicht voller Ekel. Nein, heute würde er sich nichts gefallen lassen. Dafür fühlte er sich viel zu gut, das würde er sich nicht kaputtmachen lassen. Ab heute würde eine neue Zeitrechnung in Weiß beginnen. Er, Lewin, würde aus dem Schatten treten und endlichen die verdammten Zügel in die Hand nehmen. Auch wenn er noch nicht genau wusste, wie er das anstellen sollte.
Langsam stieg er die Stufen in den ersten Stock hinauf. Vor der Zimmertür des Alten blieb er kurz stehen und atmete zweimal tief ein und aus. Bereits hier im Flur war die Luft unwahrscheinlich schlecht. Er konnte ihn schon hier spüren, den Duft von vergorener Milch und das salzige Aroma schmutziger Wäsche. Nach einem weiteren tiefen Atemzug öffnete er schließlich schwungvoll die Tür.
Die warme stickige Luft drückte sich ihm wuchtig entgegen und es fühlte sich an, als würde sie sich wie ein klebriger Film auf seine Haut legen und ihm dabei sämtliche Poren verstopfen. Er spürte, wie seine Nackenhaare sich aufrichteten und es in seinem Hals zu kratzen begann..
Lewin warf einen raschen Blick durchs Zimmer. Die Vorhänge waren zugezogen, was einem Geschenk glich. Die halbdunklen Schatten legten sich wie ein erbarmungsvoller Schleier über den Inhalt dieses Zimmers. Der Alte saß wie gewohnt auf seinem Stuhl und kippelte langsam vor und zurück. Seine Augen waren halb geschlossen und blickten ins Leere. Das strähnige weiße Haar fiel auf die nackten, käsigen Schultern; der Unterleib war lediglich in ein weißes Laken gehüllt. Die Füße steckten in ausgetretenen Pantoffeln.
Lewin wollte gerade den ersten Schritt in das Zimmer setzen, als er neben sich ein zischendes Fauchen hörte. Er kniff die Augen zusammen, um im Halbdunkeln besser sehen zu können und entdeckte dann den blinden Kater des Alten, der sich neben ihm an die Wand presste. Sein Schwanz ragte kerzengerade in die Luft und sein Rücken war so stark gekrümmt, dass Lewin allein der Anblick wehtat. Die blinden Augen des Katers glitten unruhig hin und her und aus dem weit aufgerissenen Maul drangen immer wieder vorsichtig murrende und zischende Laute.
Was war nur in dieses Vieh gefahren? Zwar war Lewin es gewohnt, dass Katzen ihn nicht leiden konnten, aber eine derart heftige Reaktion hatte er selbst von diesem Exemplar noch nie zu Gesicht bekommen. Vielleicht konnte er spüren, dass Lewin noch vor wenigen Minuten dem Tod eines seiner Artgenossen beigewohnt hatte.
Einen Augenblick lang überlegte Lewin, wie er sich verhalten sollte, denn er wollte das Tier nicht noch weiter reizen und dadurch einen Angriff provozieren. Sein Körper war malträtiert genug, brennende Katzenkrallen auf seiner Haut erschienen ihm daher nicht sehr verlockend. Schließlich entschloss er sich, den Kater zu ignorieren. Mit vorsichtigen Bewegungen schritt er an ihm vorüber und auf den alten Mann zu. Der Kater erkannte seine Chance instinktiv und versuchte mit einem hastigen Sprung, zur Tür hinaus zu fliehen. Er musste sehr verwirrt sein, denn normalerweise bewegte er sich auch mit seiner Blindheit absolut sicher. Jetzt aber taumelte er und stieß mit dem Schultergelenk an den Türrahmen. Schwankend trippelte das Tier wieder ein paar kleine Schritte zurück, schüttelte den Kopf, wartete einen kleinen Augenblick, als würde es seine Sensoren neu ausrichten und huschte dann davon.
Lewin seufzte. Nun musste er sich, nachdem er sich um den Alten gekümmert hatte, noch auf die Suche nach dem Kater machen und sich aller Voraussicht nach die Arme zerfleischen lassen. Er ballte die Fäuste und spürte wie es in seiner Magengegend zu kribbeln begann. Der verdammte Kater machte ihn eindeutig wütend.
Mit wenigen Schritten überbrückte er die noch verbliebene Distanz und erreichte den alten Mann. Es schien ihm, als wäre der beißende Geruch des Greises heute noch schlimmer als sonst. Tränen stiegen ihm in die Augen und er unterdrückte ein kleines Würgen. Lewin begab sich in die Hocke und hielt seine Augen dabei starr auf den Teller gerichtet. Er begann, dem Alten die zementartige Masse langsam in den Mund zu schieben und die schmatzenden und schlürfenden Geräusche dabei so gut es ging zu ignorieren. Aus irgendeinem Grund aber wollte ihm das heute nicht so gut wie sonst gelingen. Das Schmatzen wurde in seinen Ohren immer lauter, schien plötzlich den ganzen Raum zu erfüllen und dabei mit einem gigantischen Vorschlaghammer immer wieder auf seine Schläfen einzuhämmern. Auch der
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