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Weiß (German Edition)

Weiß (German Edition)

Titel: Weiß (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harper Ames
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schönen Aaron. Darüber hinaus standen dort noch unzählige weitere Fotos, teilweise von Leuten, die Lewin noch niemals gesehen hatte.
    Er spürte, wie es ihm kalt den Rücken hinablief. Das war doch nicht normal! Welcher Arzt stellte Fotos von allen möglichen Leut en in seine Privaträume? Privatfotos wohlgemerkt. Lewin schätzte, dass die meisten der Leute, die auf den Fotos zu sehen waren, nicht einmal bei Galen in Behandlung waren.
    Plötzlich packte ihn das dringende Bedürfnis, so schnell wie möglich zu verschwinden. Ihm war klar, dass hinter diesen Bildern unmöglich etwas Gutes stecken konnte.
    Lewin warf einen letzten, wehmütigen Blick auf das Foto von Gaja und Simon und stürzte dann hastig aus dem Zimmer.

Wotan on ice
    In der nordischen Mythologie ist Wotan eine andere Bezeichnung für Odin, einen der mächtigsten Typen da oben im Norden. Wenn ich mich recht erinnere, ist er verantwortlich für Kriege und Zorn und Gemetzel und genau aus diesem Grund habe ich nie verstanden, was um Himmels Willen Wotans Eltern dazu geritten hatte, ihrem Sohn diesen fürchterlichen Namen zu verpassen. Vielleicht hatten sie vor ihrem geistigen Auge das Bild eines starken, kämpferischen Sohnes, der sich durch die Tücken des täglichen Lebens schlägt und dabei mindestens so imposant ist wie ein junger Gott. Blöd nur, dass Wotan sich so ziemlich zum genauen Gegenteil davon entwickelte.
    Er war klein, dick und unterhielt einen kleinen Eiswagen, der ihm, soweit ich weiß, nicht einmal selbst gehörte. Mit diesem Wagen bimmelte er sich seinen Weg durch die staubigen Straßen von Weiß und schätzte sich glücklich, wenn er es schaffte, ein paar der völlig überhitzten Kinder an sein Wagenfenster zu locken. Dann öffnete er seine Truhe und ließ sie den kühlen Nebel, der aus den eisigen Tiefen hervortrat, auf ihrer nackten Haut spüren.
    Er freute sich über die kleinen, glitzernden Tropfen, die sich auf ihrer Haut bildeten, über den Schauer, der über ihre Ärmchen glitt und das selige Lächeln, das sich auf ihren zahnlückigen Mündern ausbreitete. Ganz besonders aber freute er sich, wenn es sich bei den Kindern an seinem Wagen um kleine, blonde Jungs handelte.
    Ihre frische und zarte Haut verfolgte Wotan manchmal sogar bis in seine Träume. Selbstverständlich wusste außer ihm niemand davon, abgesehen von mir natürlich, denn ich bin ja nicht dumm! Ich habe den gierigen Blick gesehen, mit dem Wotan die jungen Burschen immer beobachtet hat, wenn sie sich vor seinem Schaufenster geschubst haben, nur um als erster ein Eis zu bekommen. Ich habe gesehen, wie seine Lider immer wieder zu zucken begannen und wie er sich dabei mit einer Hand die Schweißperlen von der Stirn gewischt hat.
    Ich habe das alles gesehen und ich muss sagen, dass es das große Glück dieser Kinder gewesen ist, dass der moppelige Wotan mit den nervösen Augen so wenig nach seinem berühmten Namensgeber geraten war.

Acht
    Lewins Füße kickten kleine graue Kiesel über die Straße und wirbelten dabei Myriaden winziger Sandkörnchen in die Luft. Seitdem er Galens Wohnung verlassen hatte, befand er sich in einem merkwürdigen Dämmerzustand, der es ihm kaum erlaubte, einen klaren Gedanken zu fassen. Sämtliche Ereignisse des heutigen Tages bargen bereits jedes für sich ein überdurchschnittlich großes Verwirrungspotenzial in sich, aber zusammengenommen war es Lewin unmöglich, ihre Bedeutung zu erkennen.
    Die Entdeckungen in Galens Wohnung hatten ihn derart aufgewühlt, dass er vergessen hatte, weshalb er diese überhaupt aufgesucht hatte. Die tödliche Krankheit und die Möglichkeit, bereits selbst infiziert zu sein, waren für kurze Zeit aus seinen Gedanken verschwunden.
    Was hatte es nur mit diesen Fotos auf sich?
    Der nächste Stein, den Lewin mit dem Fuß vor sich her trat, erzeugte zu seiner Überraschung ein schepperndes Geräusch. Lewin schaute auf und im selben Augenblick hörte er aus der vor Hitze flimmernden Luft neben sich eine wütende Stimme.
    „Ich glaub, ich seh' wohl nicht richtig! Spinnst du? Schmeißt du Steine auf mein Auto?! Wenn da jetzt ein Kratzer ist, dann kannst du dich aber auf was gefasst machen!“
    Erst jetzt wurde Lewin klar, dass der von ihm getretene Stein das Auto eines Mannes getroffen haben musste. Lewin schüttelte den Kopf und lächelte. Er wollte gerade Luft holen, um dem Mann zu erklären, dass es sich um ein Versehen handelte, als dieser ihm in völlig übertriebener Lautstärke zuvorkam.
    „Alter, ich sage

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