Weiß wie Milch, rot wie Blut - D'Avenia, A: Weiß wie Milch, rot wie Blut - Bianca come il latte, rossa come il sangue
Alles dreht sich …
Ich nehme den Kopf zwischen die Hände und kauere mich auf den Boden in der Hoffnung, dass das Blut mir wieder ins Hirn fließt. Meine Haut juckt, und mir ist kalt.
»Ich pack’s nicht, Niko …«
Niko mustert mich verächtlich.
Das Spiel endet mit Gleichstand.
Als Ciuffo, Stanga und Spugna in die Umkleide kommen, ziehen sie über mich her.
»Die Mannschaft vom Vandalen hat verloren. Wir hätten sie einsacken können. Jetzt liegen wir noch immer einen Punkt hinten. Und alles nur, weil du zur Schwuchtel mutiert bist … nicht mal ein Spiel hältst du durch …«
»Ich hab heute Blut gespendet …«
»Musste das ausgerechnet heute sein? Obwohl wir ein Spiel hatten?«
Ich antworte nicht.
Ich stehle mich aus der Umkleide und lasse den Wind meine Wuttränen trocknen. Kaum tut man in dieser Welt etwas Gutes, muss man dafür zahlen … die Menschen verstehen einen Scheißdreck von der Liebe. Die denken nur an Fußball und kommen noch nicht mal darauf zu fragen, weshalb man Blut gespendet hat …
B eatrice ist wieder in der Schule. Sie ist dünner geworden. Weißer. Das Haar ist kurz, das Rot matter, stumpfer. Die Augen sind immer noch grün, aber verhaltener. Ich würde sie gerne treffen und ihr sagen, dass ich da bin, dass ich mein Blut für sie gespendet habe und wahnsinnig froh bin, sie zu sehen, aber dann merke ich, dass ich besser die Klappe halte.
Ich lächele ihr nur zu, wenn ich ihr in den Pausen über den Weg laufe. Sie sieht mich kurz an, als würde sie mich erkennen, und lächelt zurück. Ihr Lächeln ist nicht so rot wie früher, es ist weißer. Dennoch ist sie das Herzstück meines Traumes.
Mein Traum ist rot, und ich muss dieses Weiß wieder zu dem Violettrot werden lassen, das mir aus dem Arm geflossen ist. Ich habe keine Zweifel mehr. In diesem Lächeln liegt der Schlüssel zu allem, wonach ich suche.
Ich werde nicht zulassen, dass du gehst. Ich werde nicht zulassen, dass dieser weiße Krebs dich fortreißt. Ich hätte ihn an deiner Stelle kriegen sollen. Ich werde nicht zulassen, dass das geschieht, denn dich braucht die Welt viel mehr als mich. Ich will, dass du das weißt.
Deshalb werde ich dir einen Brief schreiben und dir sagen, dass ich immer für dich da bin. Wenn ich heute nach Hause komme, schreibe ich den Brief. Er muss das Schönste und Röteste werden, was ich je in meinem Leben fertiggebracht habe.
Er muss perfekt sein.
Seltsam, wie Träume einen auf Trab bringen; wie eine Bluttransfusion. Als bekäme man das Blut eines Superhelden in die Adern gepumpt.
I ch habe noch nie einen Brief geschrieben, und aus dem Netz runterladen kann ich ihn auch nicht. Die Sachen im Netz sind immer total veraltet. Es kann dort keinen Brief von Leo an Beatrice geben, da ich ihn erst einmal schreiben muss. Aber das gefällt mir, denn ich werde etwas schreiben, was noch nie zuvor jemand geschrieben hat. Ich bin aufgeregt. Jetzt nehme ich Stift und Papier und fange an zu schreiben.
Erstes Problem: Das Papier ist unliniert. Ich schreibe ihn auf dem Computer. Doch kaum sitze ich davor, lasse ich es wieder bleiben, denn der Bildschirm ist weiß und eisig. Ich greife wieder zum Papier und fange an zu schreiben, doch die Zeilen werden total krumm, die Worte stürzen in einen Abgrund. Es sieht beschissen aus: Das Weiß ist schuld. So einen Analphabeten-Brief kann ich ihr nicht schicken. Was soll ich tun?
Ich habe eine Idee. Ich drucke ein weißes Blatt mit dicken, schwarzen Linien aus, das aussieht wie Papas Schlafanzug. Ich lege es unter ein weißes Blatt und nehme die Linien als versteckte Hilfe. Super Idee. Um dem Weiß, das die Zeilen krumm werden lässt, ein Schnippchen zu schlagen, braucht es dicke, kräftig schwarze, versteckte Linien. Jetzt muss man sie nur noch vollschreiben. Das ist der schwierigste Teil.
Liebe Beatrice, wie geht es Dir?
Gestern habe ich Dich in der Schule gesehen, ich habe Dir zugelächelt, und Du hast zurückgelächelt. Ich weiß nicht, ob Du Dich noch erinnerst. Wie auch immer, das bin ich. Der mit den crazy Haaren: Leo. Ich schreibe Dir, weil ich in diesem Moment gern bei Dir sein würde. Ich weiß manchmal nicht genau, wie ich mich verhalten soll. Ob ich so tun soll, als wüsste ich nicht, dass es Dir schlecht geht, ob ich so tun soll, als hätte ich nicht mein Blut für Dich gespendet, ob ich so tun soll, als fände ich Dich nicht toll … aber ich kann einfach nicht so tun, als ob. Damit habe ich Dir schon alles gesagt: Dir geht es schlecht, ich
Weitere Kostenlose Bücher