Weiß wie Milch, rot wie Blut - D'Avenia, A: Weiß wie Milch, rot wie Blut - Bianca come il latte, rossa come il sangue
habe Dir mein Blut gespendet, Du gefällst mir. Jetzt kann ich freier reden, denn die wichtigen Sachen sind raus. Die, die man auf jeden Fall sagen muss, weil man sonst nicht ehrlich ist, und wenn man nicht ehrlich ist, fühlt man sich mies. Doch ich will ehrlich zu Dir sein, weil Du Teil eines Traumes bist. Das sagt der Träumer immer. Ich meine die Vertretung von der Argentieri, der heißt gar nicht Träumer mit Nachnamen, aber weil er immer über Träume redet, haben wir ihn so genannt. Ich bin noch auf der Suche nach meinem Traum. Das Geheimnis liegt darin, den Dingen und Menschen, die uns am Herzen liegen, die richtigen Fragen zu stellen und zu hören, was das Herz antwortet. Hast Du einen Traum? Hast Du je darüber nachgedacht?
Ich umarme Dich fest und hoffe, bald von Dir zu hören.
Leo, aus der 11 d
I ch habe Beatrices Adresse nicht. Ich habe noch nicht mal einen Umschlag … schlimmer noch: Ich wüsste noch nicht einmal, wo ich die Adresse hinschreiben und die Briefmarke hinkleben sollte. Meine Mutter zu fragen ist mir peinlich. Also gehe ich los. Ich nehme das Moped. Kaufe einen Umschlag. Stecke den Brief rein. Schreibe mit Druckbuchstaben »Für Beatrice« drauf und fahre zu Silvia, um sie nach der Adresse zu fragen, dann kann ich ihn direkt in den Briefkasten werfen.
Meine 50er ist ein fliegender Teppich aus Glück, der seinem Ziel entgegenschwebt. Schließlich kann ich den Brief meines Lebens schlecht der italienischen Post anvertrauen. Also fliege ich ins Blaue wie der Überbringer einer Millionenerbschaft. Mein Herz schlägt im Takt der surrenden Mopedräder. Ich lache, singe, höre nichts. Nicht mal die Hupe, die mich von rechts anbrüllt und mich daran erinnert, dass ich die Bremsen reparieren lassen wollte. Und das ist kein Bremsen-Nervenkitzel, es bleibt noch nicht einmal Zeit, Angst zu haben, bis eins zu zählen oder zu bremsen …
Und dann Weiß.
A ls ich aufwache, liege ich in einem weißen Krankenhausbett. Im Kopf nichts als Weiß. Ich erinnere mich an nichts. Mein Kopf scheint vom Rest meines Körpers wie abgetrennt. Vielleicht bin ich entführt, mit Drogen vollgepumpt und in einen Superhelden verwandelt worden. Ich überlege, welche außergewöhnlichen Fähigkeiten ich jetzt wohl besitze: Fliegen, Teleportation, Unsichtbarkeit, Gedankenlesen … Ich versuche es mit der Teleportation und stelle fest, dass ich mich keinen Zentimeter bewegen kann. Das liegt an etwas Steifem um meinen Hals, das mir Brust und Kopf fixiert. Zum ersten Mal wird mir klar, was Terminator empfindet, wenn ich ihn an der Leine herumzerre.
Ich öffne die Augen: Meine Mutter sitzt neben mir. Sie hat rote Augen.
»Was ist denn passiert?«
Meine Mutter sagt, ein Auto hätte mich überfahren. Das meinen zumindest die Zeugen des Unfalls. Ich kann mich an so gut wie nichts erinnern, nur ganz nebelhaft. Doch Tatsache ist: Ich habe mir einen Wirbel angebrochen und muss mindestens zehn Tage reglos im Bett liegen. Als wäre das nicht genug, ist mein rechtes Handgelenk gebrochen und bereits in Gips: Addio, Hausaufgaben. Aber wer hat dieses (Beinahe-)Desaster denn angerichtet? Meine Mutter erzählt, der, der mich überfahren hat, hat nicht angehalten. Er ist abgehauen. Ein Passant hat die Nummer aufgeschrieben, Papa kümmert sich darum. Das Wichtigste ist jetzt, dass es mir gut geht und dass ich bald wieder auf die Beine komme, für dieses Jahr kann ich mich allerdings von den Winterferien samt Snowboard verabschieden … Wenn ich hier rauskomme, ist schon fast Weihnachten.
Eine ungekannte Wut steigt in mir auf, eine derart unbändige Wut, dass ich sie fast an meiner Mutter ausgelassen hätte, obwohl sie nichts dafür kann. Jetzt erinnere ich mich. Ich wollte Beatrice den Brief bringen, ich kam gerade von Silvia und hatte die Adresse auf den Umschlag geschrieben. Und dann Finsternis. Wer weiß, was mit dem Brief passiert ist. Ich hatte ihn in der Tasche. Jetzt stecke ich in einem Schlafanzug und einer Halsmanschette aus Gips … Wer weiß, wo der Brief geblieben ist.
Scheiße. Schon wieder will man was Gutes tun, und aus irgendeinem Grund landet man wieder auf dem Arsch. Wer hat eigentlich das Pech erfunden? Wieso ich? Womit hab ich das verdient? Die Liebe kann mich mal.
Zumindest weiß ich jetzt, zu welchem Superheld ich mutiert bin: Pechman.
D em ätzend grellen Licht und dem Kopfweh nach zu urteilen, das mich befällt, als ich die Augen öffne, habe ich mindestens hundert Jahre lang geschlafen. Kaum habe ich wieder
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