Weiß wie Milch, rot wie Blut - D'Avenia, A: Weiß wie Milch, rot wie Blut - Bianca come il latte, rossa come il sangue
ich zu ihr hingegangen und habe gesagt: ›Sie auch auf diesem Schiff, Signorina?‹, und erst beim Fragezeichen wurde mir klar, was für ein sinnentleerter, lächerlicher Satz das war, denn ich sah sie schließlich zum ersten Mal.«
»Und sie?«
»Sie hat gelächelt, sich umgeschaut, als würde sie jemanden suchen, und geantwortet: ›Sieht ganz so aus …‹, und dann hat sie gelacht.«
»Und was ist dann passiert?«
»Dann haben wir geredet und geredet.«
»Zu deiner Zeit habt ihr offenbar nichts anderes getan als reden …«
»Hey, Bürschchen, ein bisschen Respekt deinem alten Vater gegenüber!«
»Und worüber habt ihr geredet?«
»Über die Sterne.«
»Die Sterne? Und sie hat dir zugehört?«
»Ja, die Sterne waren mein Steckenpferd, während der Gymnasiumszeit hatte ich mir mein erstes Teleskop gekauft und kannte jedes Sternbild. Also hab ich ihr die Geschichte der Sterne erzählt, die in der kühlen, klaren Nacht von der Schiffsbrücke aus auch ohne Teleskop gut zu erkennen waren. Und im Gegensatz zu den anderen Mädchen hörte sie zu und stellte Fragen.«
Er hält inne, als wäre der erste Teil seines Kitschfilms vorbei. Ich rüttele ihn auf.
»Und dann?«
Mein Vater holt Luft und antwortet in einem Atemzug. Dabei reibt er sich die Wange, als wollte er sich ein wenig hinter der Hand verstecken.
»Dann habe ich ihr einen Stern geschenkt.«
»Du hast was?«
»Ja, ich habe ihr einen Stern geschenkt, den hellsten in dieser mondlosen Nacht: Sirius, der einzige Stern, den man von jedem Ort der Welt sieht und der so hell ist, dass er in einer Neumondnacht sogar Schatten wirft. Wir haben einander versprochen, dass wir jeden Abend zu ihm aufsehen und aneinander denken würden, egal wo wir gerade wären.«
Ich fange an zu lachen. Papa schenkt der Mamma einen Stern … ich klopfe ihm auf die Schulter.
»Du bist ja ein Romantiker … und sie?«
»Sie hat gelächelt.«
»Und du?«
»Ich hätte alles gegeben, damit es eine solche Frau in meinem wirklichen Leben gäbe und nicht nur auf einem Kreuzfahrtschiff.«
Papa schweigt. Er scheint nichts mehr hinzufügen zu wollen. Er ist kurz davor rot zu werden, also wischt er sich die Briochekrümel vom Mund, um sich nichts anmerken zu lassen, sieht mich an und sagt:
»Ich bin stolz auf dich, Leo, auf das, was du gemacht hast.«
Mir sausen die Ohren, als wäre ich bis zu diesem Moment taub gewesen.
»Ich glaube, heute hast du angefangen, ein Mann zu sein: Du hast etwas getan, wozu niemand dich aufgefordert, was niemand für dich entschieden hat. Es war dein Entschluss.«
Ich sitze schweigend da und nutze die Gunst des Augenblicks.
»Dann darf ich mir noch ein Croissant nehmen?«
Papa schüttelt augenzwinkernd den Kopf und grinst mich an:
»Ganz der Vater …«
Seit Ewigkeiten habe ich nicht mehr so viel Zeit mit meinem Vater verbracht. »Ich bin stolz auf dich«, ist das Motto des Tages. Ansonsten: ausruhen. Ich muss wieder zu Kräften kommen. Ich bin hundemüde, aber sauglücklich.
Ich habe Beatrice nicht wiedergesehen. Sie ist nicht mehr im Krankenhaus, sondern wieder zu Hause und hat die erste Runde Chemotherapie hinter sich. Eine Art Antibiotikum gegen Krebs. Ich bin sicher, dass es ihr helfen wird. Beatrice ist stark: viel zu jung und strahlend schön, um es nicht zu schaffen. Ich würde sie gern besuchen, aber Silvia meint, Beatrice will niemanden sehen. Sie ist sehr müde und mitgenommen und hat keine Lust zu reden. Trotzdem würde ich sie gerne sehen. Aber wenigstens hat sie jetzt mein Blut, und damit leiste ich ihr noch viel besser Gesellschaft. Nämlich von innen. Eins mit ihr. Ich hoffe, mein Blut tut ihr gut.
Ich fühle mich erschöpft und glücklich. So ist die Liebe.
W a s ist denn mit dir los? Jetzt lauf doch mal! Du triffst ja nix…«
Ich bin total fertig. Ich hätte nach meiner Blutspende nicht spielen sollen. Die Krankenschwester hatte mir geraten, mich ruhig zu verhalten. Ich habe ihr nicht gesagt, dass ich Fußball spielen gehen würde, ich durfte beim Spiel einfach nicht fehlen. Jetzt bin ich völlig aus der Puste, es steht 2 zu 2 gegen ein paar erbärmliche Neuntklässler, die das Spiel ihres Lebens machen. Ich habe peinlich oft danebengeschossen, wie Iaquinta an seinem schlechtesten Tag.
»Du bist weiß wie die Tote …«
Die Tote ist ein Super-Emo-Mädel aus der Elften. Ein einziger schwarzer Fleck auf weißer, fast transparenter Haut. Ich muss fast kotzen und kriege keine Luft. Ich muss mich an der Bande festhalten.
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