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Weiß wie Milch, rot wie Blut - D'Avenia, A: Weiß wie Milch, rot wie Blut - Bianca come il latte, rossa come il sangue

Weiß wie Milch, rot wie Blut - D'Avenia, A: Weiß wie Milch, rot wie Blut - Bianca come il latte, rossa come il sangue

Titel: Weiß wie Milch, rot wie Blut - D'Avenia, A: Weiß wie Milch, rot wie Blut - Bianca come il latte, rossa come il sangue Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alessandro D'Avenia
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überbringen und meinen Traum wahr machen. Und wenn ein Traum auf so viele Hindernisse stößt, bedeutet das, dass er der richtige ist. Seine Augen leuchten. Als ich mich von ihm verabschiede, nenne ich ihn aus Versehen Träumer. Er lacht und sagt, er hat schon gewusst, dass ich ihn so nenne. Er geht, und ich beiße mir auf die Lippen, weil der Träumer alles okay findet, sogar Spitznamen. Wer hat eigentlich behauptet, dass man ein Kotzbrocken sein muss, um Autorität zu haben?
    Der Besuch meines Lehrers hat mir gute Laune gemacht: Ich habe Lust, hier rauszukommen, mit meinen Eltern am Abendbrottisch zu sitzen, mit Terminator Gassi zu gehen, mit Niko Musik zu machen, mit Silvia zu lernen, Beatrice zu küssen … Aber ganz tief in mir drinnen macht mich der Träumer auch wütend, weil – allein der Gedanke macht mich stinkig – ich sein will wie eine saucoole Geschichte- und Philovertretung.

M eine Mutter hat den Brief gefunden. Er ist voller Blut und Straßenteer. Er war in meiner Jeanstasche. Die Jeans hat sie weggeworfen. Sie war total zerfetzt. Doch bevor sie sie weggeschmissen hat, hat sie die Taschen durchgekramt. Zwei Euro. Ein Haushaltsgummi. Eine Bart-Figur. Kaugummis. Ein Brief. Auf dem Brief klebt mein Blut. Inzwischen ist es trocken und geronnen. Es rahmt Beatrices Namen ein. Es ist das zweite Mal, dass ich mein Blut für sie gebe. Und das macht mich glücklich, wie beim ersten Mal. Ich lese den Brief noch einmal. Er ist gut, auch wenn man ein paar Worte wegen des Bluts nicht mehr lesen kann. Ich muss einen Weg finden, ihn ihr zu geben. Wenn ich nur aus diesem Bett rauskäme!

S ogar Gandalf ist mich besuchen gekommen. Damit habe ich nicht gerechnet. Er hat zwanzigtausend Klassen, mindestens acht Millionen Schüler, seine Gemeinde und rund hundert Jahre auf dem Buckel, die er jeden Tag mit seinem hauchzarten Körper durch die Gegend schleppt und dabei aussieht, wie der von ihm so angebetete Heilige Geist höchstpersönlich … trotzdem ist er mich besuchen gekommen. Nicht, dass ich was dagegen hätte, es hat mich eher umgehauen. Damit habe ich nicht gerechnet. Ich soll ihm erzählen, was passiert ist. Ich erzähle ihm alles, auch von dem Brief. Ich fühle mich wohl. Ich sage ihm nicht, dass es um Beatrice geht, und bleibe vage. Er meint, ich sei ein Liebling Gottes. Ich sage ihm, dass ich von Gott nichts hören will, denn wenn es ihn gäbe, hätte er Beatrice nicht krank werden lassen.
    »Wenn er wirklich so allmächtig und allsonstwas ist, wieso hat er mir das angetan? Wieso tut er Leuten wie mir das an, die nichts verbrochen haben? Von wegen Liebling Gottes. Ich verstehe Gott einfach nicht. Was für ein Gott bist du denn, wenn es das Böse gibt?«
    Gandalf sagt, ich habe recht. Wie, ich habe recht? Ich provoziere ihn, und er gibt mir recht? Wenigstens die Pfaffen sollten ihre Position verteidigen. Gandalf sagt mir, dass selbst Jesus, Gottes Sohn, sich von seinem Vater verlassen gefühlt und es ihm im Moment seines Todes ins Gesicht geschrien hat.
    »Wenn Gott seinen eigenen Sohn so behandelt, wird er auch all jene so behandeln, die zu seinen Lieblingskindern zählen.«
    Was ist denn das für eine Argumentation? Trotzdem habe ich dem nichts entgegenzusetzen, denn so – sagt Gandalf – steht es im Neuen Testament:
    »Wenn jemand einen starken Gott erfinden wollte, könnte er das ohne Probleme, er würde sich gewiss keinen schwachen Gott einfallen lassen, der sich zudem im Moment seines Todes vom eigenen Vater im Stich gelassen fühlt.«
    Gandalf sieht das Blut auf dem Brief, der neben mir auf dem Nachttisch liegt. Er meint, das erinnere ihn an das Kreuz: ein Brief an die Menschheit, unterschrieben mit dem Blut Gottes, durch das wir gerettet werden. Ich unterbreche ihn, sonst lässt er noch eine stundenlange Predigt vom Stapel, und das muss wirklich nicht sein. Aber immerhin hat er mir was zum Nachdenken gegeben, und außerdem gefällt mir die Sache mit dem Blut. Genau wie bei mir und Beatrice. Vielleicht ist das das einzig Wahre in diesem ganzen Christus-Sermon: Liebe bedeutet, sein Blut zu geben. Liebe ist blutrot.
    »Es gibt keine triftige Antwort auf den Schmerz, Leo. Doch seit Christus am Kreuz gestorben ist, gibt es für uns einen Sinn. Einen Sinn gibt es …«
    Ich umarme ihn so herzlich ich kann. Als er schon weg ist, sehe ich, dass er sein Kruzifix auf Beatrices Brief gelegt hat.
    Auf der Rückseite des t-förmigen Holzstückes steht: »Es gibt keine größere Liebe, als das Leben für seine

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