Weiß wie Milch, rot wie Blut - D'Avenia, A: Weiß wie Milch, rot wie Blut - Bianca come il latte, rossa come il sangue
und muss als junges Mädchen ziemlich hübsch gewesen sein, aber das war einmal. Sie tut alles, um jung zu wirken, ist aber nur lächerlich. Doch keiner hat den Mumm, es ihr zu sagen. Die ist nicht wie die Carnevale. Die Carnevale unterrichtet Bio. Die ist auch um die fünfzig, aber immer noch eine schöne Frau, eben eine schöne fünfzigjährige Frau. Die Nicolosi hingegen zieht sich an wie eine Zwanzigjährige, und das ist lächerlich. Silvia hat mir jedenfalls erzählt, die Nicolosi sei mit einem Minirock in der Schule aufgetaucht, worauf die Jungs total durchgedreht sind.
»Nein! Und ich hab’s verpasst …«
»Du bist ein Schwein!«
»Nein, ein Löwe …«
Wie auch immer, die Jungs haben sie jedenfalls mit dem Handy fotografiert.
»Wirst du denn nicht gerne angesehen?«
Silvia zögert kurz.
»Doch … sehr sogar … aber ich will niemanden dazu zwingen, und eine Frau weiß, wie man jemanden dazu zwingt. Andere Frauen warten lieber, bis jemand kommt, der ganz für sie allein da ist und sie nach und nach entdecken möchte, wie einen Traum …«
Das ist noch so eine Sache, über die ich nachdenken muss. Träume sind wie Sterne: Man sieht sie erst, wenn alles künstliche Licht erloschen ist, dabei waren sie auch vorher schon da. Man hat sie bei dem ganzen Licht nur nicht gesehen. Silvia zwingt mich zum Nachdenken. Das macht sie extra. Und ich schlafe fast sofort ein. Ich kann einfach nicht lange nachdenken. Ich schlafe mit dem tristen Gedanken ein, was ich alles in der Schule verpasse. Auch wenn kurz vor dem Tiefschlaf die Idee aufglimmt, dass es nichts Lebenswichtiges ist …
Es ist offiziell: Schule ist sinnlos. Wenn ich Bildungsminister werde, mache ich als Erstes die Schulen dicht.
A ls ich aufwache, ist mein erster Gedanke, dass Beatrice auch in diesem Krankenhaus ist, und ich koste ihn aus, als würde ich ein Mentos lutschen. Er lässt mich den Schmerz vergessen, die Genervtheit, die Glotze. Wenn der wunderbarste Mensch, den man kennt, einem nahe ist, ändert das alles, selbst die hässlichsten Dinge. Vorher hatten sie keinen Sinn. Dann haben sie einen. Ich muss mir einen Plan ausdenken. Ich will sie wenigstens sehen. Inzwischen darf ich sogar aufstehen. Den Arm trage ich in einer Schlinge, und der Hals ist mit einer Manschette fixiert, aber ich muss nicht mehr reglos daliegen. Die Röntgenbilder sind gut.
Also fasse ich einen Entschluss. Ich stehe auf. In meinem jetzigen Zustand bin ich nicht gerade ein Ausbund an Schönheit, nicht mal aus dem Schlafanzug komme ich raus. Aber was soll’s. Im Krankenhaus gewöhnt man sich dran, Leute im Schlafanzug zu sehen. Unglaublich, wie schnell man sich damit abfindet, vor wildfremden Menschen im Schlafanzug dazustehen. Im Krankenhaus ist das so. Vielleicht, weil vor Schmerz und Leid alle gleichermaßen lächerlich sind. Alle sind sich derart ähnlich, dass der Schlafanzug die richtige Uniform ist, um die Unterschiede verschwinden zu lassen. Ich habe einen superschicken Schlafanzug von Papa. Meine Mutter hat ihn mir mitgebracht, weil er ein bisschen größer ist und der Gips gut drunterpasst. Und außerdem riecht er nach meinem Vater und nach zu Hause.
Derart elegant wage ich mich durch die Flure der Frauenabteilung. Ich traue mich nicht, die Krankenschwestern direkt nach Beatrice zu fragen, und schlendere herum, als würde ich spazieren gehen. Ich betrete die Onkologie. Silvia hat mir gesagt, dass die Krebsabteilung so heißt. Ich bin mir nicht sicher, aber dieses »onko« muss was Griechisches sein, das mit Tumoren zu tun hat, denn neben dem Wort »logie« steht immer noch was Griechisches. Ich muss im Griechisch-Diktionär nachsehen, wenn ich wieder zu Hause bin. Der Griechisch-Diktionär, Traum aller Augenärzte! Fehlt mir kein bisschen. Ich spähe in die Zimmer. Auch hier liegen hauptsächlich ältere Menschen. Greise. Ich bin so eine Art Maskottchen. Der Elefant ist fünfundsiebzig … Das Krankenhaus ist ein Panoptikum alter weißer Leute. Junge Menschen landen im Krankenhaus, weil sie Pech hatten, alte, weil sie alt sind.
Doch wenn man einen Kopf mit spärlichen roten Haaren sieht, der auf einem weißen Kissen ruht wie eine Rose auf einem Schneebett oder die Sonne in der Milchstraße, dann ist das Beatrice, die schläft. Ich trete ein. Ihre Zimmergenossin ist eine dermaßen faltige Alte, dass es aussieht, als hätte man ihr die Falten künstlich reingemacht. Sie lächelt mich an wie ein zusammengeknülltes Stück Alufolie.
»Sie ist sehr
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