Weiß wie Milch, rot wie Blut - D'Avenia, A: Weiß wie Milch, rot wie Blut - Bianca come il latte, rossa come il sangue
halten mich für irre, aber das ist mir wurscht, und sobald mir jemand begegnet, singe ich noch lauter und zwinge ihn, sich mit mir zu freuen.
Als ich singend und mit verheultem Gesicht wieder nach Hause komme, wirft meine Mutter meinem Vater einen fragenden Blick zu, und mein Vater schüttelt seufzend den Kopf. Wieso glauben Eltern eigentlich, nur wenn man normal rüberkommt, geht es einem gut?
Z uallererst: Silvia. Diesmal gehe ich höchstpersönlich hin, ohne beknackte SMS, ich gehe persönlich hin, und auf meiner Stirn steht geschrieben oder vielmehr eintätowiert: »Ich bin eine arme Wurst, verzeih mir.«
Ich mache etwas, was ich noch nie gemacht habe: Ich kaufe ihr einen Blumenstrauß. Peinlich berührt stehe ich unter dem Vordach des Blumenstandes und versuche, welche auszusuchen – ich hab keine Ahnung von so was. Schließlich entscheide ich mich für Rosen. Ungerade Zahl, wenigstens das habe ich aus einer Frauenzeitschrift meiner Mutter gelernt. Ich kaufe drei weiße Rosen (die einzige Ausnahme bei meiner Weiß-Phobie) und gehe zu Silvia. Ich klingele. Ihre Mutter, die womöglich gar nicht weiß, was los ist, macht mir auf. Die Sache lässt hoffen. Ich gehe nach oben.
Als ich Silvias Zimmer betrete, sitzt sie mit Kopfhörern da, hört Musik und bemerkt mich nicht. Als sie aufschaut, sieht sie in drei weiße Augen, die sie mit ihrem Blick um Verzeihung bitten. Sie macht ein verdattertes Gesicht. Sie nimmt die Kopfhörer heraus und sieht mich eisig an, dann schnuppert sie an den Rosen. Als sie mich wieder ansieht, lächeln ihre blauen Augen. Sie umarmt mich und küsst mich auf die Wange. Nicht einen belanglosen Kuss, sondern einen, in dem mehr drinsteckt als bei einer gewöhnlichen Begrüßung. Man spürt die besondere Wärme, die auf der Wange nachglüht. Ich habe es an dem kurzen Zögern gemerkt, ehe sie die Lippen gelöst hat. Sie hat kein Wort gesagt. Ich sage nur: »Verzeihung«. Und ich sage es selbst, ohne die Gefahr, dass das T9 es in »Verweigerung« verwandelt, auch wenn ich die Angstblockade durchaus spüre. Aber Silvia mag mich, und wenn jemand einen mag, heißt »Verzeihung« nie »Verweigerung«.
Ich bin glücklich, dermaßen glücklich, dass sich die weißen Rosen in meinen Augen fast rot färben, wie die in Alice im Wunderland . »Wir malen die Rosen rot, wir malen die Rosen rot …«, singe ich innerlich vor mich hin, wie ein Kind, das kopfüber in eine Wanne voller Nutella springt.
D en Armgips bin ich schon seit einer ganzen Weile los, aber mein Hirn ist offenbar noch immer eingegipst … Es rührt sich nicht. Deshalb lerne ich zusammen mit Silvia. Sie ist die Einzige, die mir helfen kann, den versäumten Unterricht aufzuholen, ich habe keine Lust, mir den ganzen Sommer mit Minuspunkten zu versauen. Zusammen mit Silvia bin ich stark. Glücklich. Aber wenn ich an Beatrice denke, drifte ich jedes Mal ab. Nachdem Silvia mich zum x-ten Mal von meinen Reisen zum Mond zurück auf die Erde geholt hat, steht sie auf und zieht etwas aus einem Heft, das sie in ihrem Zimmer aufbewahrt, eines von diesen Tagebüchern, in denen Mädchen ihre Gedanken aufschreiben.
In so was sind Mädchen viel besser als wir, zumindest Silvia ist darin todsicher viel besser als ich, Mädchen schreiben nämlich wichtige Sachen in ihre Tagebücher. Jedes Mal, wenn ihnen etwas Wichtiges klar wird, schreiben sie es auf, damit sie es jederzeit wieder lesen und sich daran erinnern können.
Ich hab einen Haufen wichtiger Dinge, an die ich mich gern erinnern würde, aber weil ich faul bin, schreibe ich sie nicht auf. Also vergesse ich sie und mache immer wieder die gleichen Fehler, schon klar, aber ich habe einfach keinen Bock, mich hinzusetzen, meinen Hintern auf einen Stuhl zu quälen. Das bedeutet, Potential zu haben, aber nichts draus zu machen. Einen Hintern zu haben, sich aber nicht draufzusetzen, obwohl er doch dafür da ist … Wenn ich all das, was ich begriffen habe, aufgeschrieben hätte, müsste ich bei vielem vielleicht nicht jedes Mal wieder bei null anfangen. Ich glaube, dabei wäre eher ein Roman als ein Tagebuch rausgekommen. Ich glaube, ich fände es ganz cool, Schriftsteller zu sein, aber weil ich nicht genau weiß, wie man anfängt, lass ich es lieber gleich bleiben, denn sobald ich versuche, mir eine Handlung auszudenken, fällt mir nichts ein. Wie auch immer, Silvia hat so ein Tagebuch, das einem hilft, sich zu erinnern. Und zwischen den Seiten steckte ein Blatt.
»Hier, das ist der Entwurf des
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