Weiß wie Schnee, rot wie Blut, gruen vor Neid
dann auch zum Glück vorbei. Biggi scharwenzelte um mich herum wie eine Henne um ihre Küken und versicherte mir ununterbrochen, dass ich der angehende Stern am Werbehimmel sei. Dass sie meine Kontonummer für die Überweisung des Honorars notierte, ließ ich mir noch gern gefallen, aber dass sie wegen des Besuchs der Polizei in der Agentur einen auf besorgt machte, fand ich schon weniger spaßig.
»Geht’s dir denn auch wirklich gut, meine Süße?«, fragte sie gefühlt alle zwei Minuten und sah mich dabei so betont kummervoll an, dass ich ihr am liebsten das Gesicht mit Plume bemalt hätte. Schleimerin!
Zum Glück kam Julius mir zu Hilfe. »Lass Sarah mal bitte ein bisschen in Ruhe, okay?«, bat er und schob mich Richtung Cafeteria, während Biggi uns beleidigt hinterherschaute. Ich hätte ihn küssen mögen. Manchmal war seine coole, unemotionale Art durchaus hilfreich.
So saßen wir eine Weile schweigend nebeneinander, tranken Eiskaffee und ich versuchte, mich an dem Gedanken hochzuziehen, wie viel Geld ich mit dieser Kampagne verdient hatte. Ein super Startkapital für eine eigene Wohnung und eine schöne Finanzspritze fürs Studium.
»Du hast das echt professionell gemacht«, lobte Julius. Nanu?! »Und du bist sowohl fotogen als auch telegen. Das ist eine extrem seltene Mischung, denn die meisten Models sind leider nur eines von beiden. Du kannst wirklich Karriere in diesem Bereich machen, wenn du willst! Ich weiß, dass das eigentlich nicht so dein Ding ist, aber wenn du das nur ein paar Jahre machst, kannst du eine Menge Kohle scheffeln und kommst um die ganze Welt.«
Um die ganze Welt? Stimmt, daran hatte ich noch gar nicht gedacht. In meinem Kopf wirbelten die Worte »Kohle«und »Reisen« herum und auf einmal hatte ich die Lösung: Ich würde einfach abhauen, bis mein Vater wiederkam. Ich hatte Geld und ich hatte Zeit, denn die Schule begann ja erst wieder Ende August. Das war eindeutig die beste Möglichkeit, um mich vor Bella in Sicherheit zu bringen. Ich musste nur aufpassen, dass sie nichts davon mitbekam. Und ich musste es schnell tun!
Aber wohin sollte ich fahren? Bis auf wenige Ausnahmen war ich noch nicht besonders weit herumgekommen. Wie auch? Dad war beruflich andauernd unterwegs und froh, seine Ruhe zu haben, wenn er mal daheim war, und weil wir keine große Verwandtschaft hatten, gab’s auch keine Besuche in anderen Städten. Bis auf die obligatorische Klassenreise nach Berlin und eine nach London war ich bislang nur noch in München und eine Woche am Gardasee gewesen.
Je länger ich darüber nachdachte, desto mehr kam ich zu dem Ergebnis, dass ich nach Berlin fahren würde. Diese Stadt war zum einen riesig – also der ideale Ort, um sich zu verstecken – und zum anderen wirklich toll. Außerdem gab es dort weder ein Sprachproblem noch die Schwierigkeit, dass irgendwer meinen Ausweis kontrollieren würde. Ich nahm an, dass sich in einer Jugendherberge kein Mensch dafür interessieren würde, dass ich noch nicht volljährig war.
Meine Laune stieg schlagartig: Ich hatte zwar nichts bei der Polizei bewirken können, aber ich war trotzdem nicht gezwungen, auf Dauer das wehrlose Opfer zu spielen.
»Für welchen Tag ist der Dreh mit Katharina eigentlich angesetzt?«, fragte ich, nachdem ich den letzten Rest Eiskaffee ausgetrunken hatte.
Ju tippte auf seinem BlackBerry herum. »Nächsten Donnerstag«, antwortete er und ich rechnete nach: Heute war Mittwoch. Das bedeutete im Klartext, dass ich lediglich weitere acht Tage versuchen musste, am Leben zu bleiben.
43
Sehstörungen
Übermäßiges Schwitzen
Niedriger Puls
Magenkrämpfe
Muskellähmung
Atemlähmung
Bewusstlosigkeit
Koma
Tod
Mit wachsender Begeisterung las die Frau die schier endlos lange Liste der Symptome, die sich bei versehentlicher Einnahme des Insektenpestizids Parathion e instellen würden. Die hochgiftige Flüssigkeit war im Volksmund lange Zeit unter dem Begriff »Schwiegermuttergift« bekannt gewesen, da sie häufig für Morde oder Selbstmorde missbraucht worden war.
Stiefmuttergiftwäre natürlich in diesem Falle der weitaus passendere Name, dachte die Frau amüsiert und scrollte mit der Maus weiter über den Text im Internet.
Was sie dort las, gefiel ihr ausnehmend gut. Bis auf die Tatsache, dass das Pestizid dummerweise im Jahre 2002 vom Markt genommen worden war. Allerdings waren nur Einfuhr und Anwendung verboten, nicht aber die Lagerung. Hatte Gunter anlässlich ihres letzten Telefonats nicht geprahlt, dass es
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