Weiß wie Schnee, rot wie Blut, gruen vor Neid
so wild an seiner Nerd-Brille herum, dass ich schon Angst hatte, sie würde auf den Boden knallen.
»Was liest du denn da?«, wollte Susi wissen und ich war irritiert. An Sebastian hatte sie vorhin bedeutend weniger Interesse gezeigt.
»Tolstoi«, kam die Antwort mit unsicherer Stimme. »Anna Karenina!«
»Schwere Kost. Aber ehrlich gesagt liebe ich die Russen auch. Sie sind so… so wunderbar tiefgründig. Die wissen, was echte Gefühle sind. Allerdings lese ich im Sommer lieber Komödien. Oder einen spannenden Thriller.«
Aleks guckte immer noch, als sei er vom Blitz getroffen worden. Ich wunderte mich. Er musste ja mächtig in der Welt der Fantasie gefangen gewesen sein, wenn er jetzt so wortkarg war.
Also ließen wir ihn wohl besser wieder allein. »Okay, wollen wir weiter? Es fehlen noch die Wohnungen von Julius, dem Werber, und Ben, dem Eso-Freak, und die Wohnung von JamieTim und Lenny«, erklärte ich und zog Susi hinter mir her.
Aber auch von Julius und Ben fehlte jede Spur.
Nächste Station: JamieTim und Leander mitsamt ihrer Küche. »Oh mein Gott, das sieht ja furchtbar aus!«, rief Susi und hielt sich die Hand vor den Mund, als sie sah, wie tief das Loch war, das der Sprengsatz in den Fußboden gerissen hatte. »Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn…«
Ja, nicht auszudenken. Plötzlich glitzerten Tränen in ihren Augen und Susi fiel mir um den Hals. »Ich kann es nicht glauben, dass jemand dich liebenswertes Wesen so sehr hasst. Was ist denn das für ein Mensch, der so etwas tut?«
JamieTim unterbrach rüde ihren Anfall von Gefühligkeit: »Sagt ihr mir jetzt mal bitte, welche Pizza ich für euch bestellen soll?«
»Für mich Frutti di Mare«, kam es von Aleks, der wie aus dem Nichts plötzlich in der Küche stand. »Oh, sorry, ich wollte mich nicht vordrängen«, ruderte er zurück, als er sah, dass Susi und ich gerade die Karte des Lieferservice studierten.
»Für mich bitte auch mit Meeresfrüchten«, orderte Susi und lächelte Aleks an.
Ich wunderte mich. Irgendwie sah er anders aus als vorhin. Ich schaute noch einmal genauer hin. Tatsächlich: Er hatte seine Brille abgesetzt. Wie filigran sein Gesicht auf einmal war und wie schön seine Augen… wer hätte das gedacht?
Susi fand das offenbar auch und so blieb es an JamieTim und mir hängen, für Essen und Sekt zu sorgen. Ich holte die Flasche aus dem Kühlschrank und Gläser aus der Vitrine und Guido bestellte »Mediterrana« für mich und »Al Tonno« für sich.
Gerade als ich Klappstühle auf den Balkon geschleppt und den Tisch abgewischt hatte, klingelte es an der Tür. Davor stand – die zweite Überraschung des Tages – Felix.
Mein erster Gedanke war: Folgt gleich ein neuer Mordversuch? Mein zweiter: Wie schöööööööööön!
Und so kam es, dass JamieTim an diesem Abend leidlich in die Röhre guckte, weil um ihn herum vier Menschen flirteten und turtelten, was das Zeug hielt. Zum Glück tauchte Johnny D wenig später auf, schnappte sich ein Stück Pizza von jedem, scannte kurz Susi ab – offenbar nicht sein Typ – und trank zwei Gläser Sekt auf ex.
Heute Abend war ich wild entschlossen, meine Angst beiseitezuschieben und mich einfach nur zu amüsieren. Ich saß hier mit lieben, witzigen Menschen und guckte in den Schein des Windlichts, das wir angezündet hatten. Der Mond hing als schmale Sichel am Himmel und sah aus, als würde er lächeln.
»Na, Sarah, woran denkst du?«, fragte Felix, vermutlich weil ich so lange still war.
Daran, dass ich wünschte, dieser Tag würde nie zu Ende gehen.
Aber das musste ich ihm ja nicht gleich auf die Nase binden.
45
Die Frau saß am Küchentisch und betrachtete die kleine Glasflasche und die Injektionsspritze, die Gunter ihr vorhin gebracht hatte. Die Vorhänge hatte sie sicherheitshalber zugezogen. Keiner sollte Zeuge dessen werden, was sie vorhatte.
Wie harmlos das aussieht, dachte sie und überlegte angestrengt, wie sie es am besten anstellen konnte, dass das Mädchen mit dem tödlichen Gift in Kontakt kam. Gunter hatte ihr erzählt, dass seit Neuestem zweimal wöchentlich Kisten mit Obst und Gemüse für die WG angeliefert wurden, und hatte vorgeschlagen, etwas mit dem Gift zu präparieren, das Sarah besonders gern aß.
Die Frau überlegte fieberhaft, konnte sich aber kaum an die kulinarischen Vorlieben ihrer Stieftochter erinnern. Außer… Ja, das war’s! Das Mädchen liebte Äpfel!
So könnte es gehen. Sie würde im Supermarkt besonders schöne, glänzende
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