Weiss
eine Puppe. Angeblich hatte es sich die Augen aus dem Kopf geweint, als seine Männer schließlich in der Nähe von Podgorica in Montenegro die Fesseln gelöst und den Knebel entfernt hatten. Die Angst des Kindes war seinen Leuten nicht im Gedächtnis geblieben, schließlich musste ja jeder in seinem Leben mal Schweres durchmachen, aber sein ohrenbetäubendes Geschrei, das stundenlang anhielt.
Dimitri Arbuzow verstand sich meisterlich darauf, geeignete Ware aufzuspüren. Das war eine Kunst. Er hatte Modelagenturen gegründet und Firmen, die Arbeitsvermittlung und Begleitservice anboten. Sie dienten ihm dazu, die Wünsche, Träume und die Lebenssituation geeigneter Opfer zu ermitteln. Auf der Grundlage der so beschafften Informationen lockte er junge Leute ins Ausland, wo ihnen ein Job als Model oder eine Heirat oder eine Lehre als Fotograf oder irgendeine andere Arbeit in Aussicht gestellt wurde. War das Opfer dann ins Zielland gebracht worden, wurdesein Pass eingezogen. Man drohte ihm, sich an seinen Angehörigen zu rächen, wenn es floh oder Schwierigkeiten machte, und zwang es so, sich zu verkaufen. Jedes der Opfer musste einen Traum haben, den es im Ausland verwirklichen wollte, und eine Familie, ein Kind oder Verwandte, mit denen man es erpressen konnte. So einfach war das.
Arbuzow hatte es geschafft, sein Geschäft so aufzubauen, dass es glänzend lief. Seine Truppe von etwa zweihundert Mann arbeitete einzig und allein für Mundus Novus. Der russische Geheimdienst FSB sorgte dafür, dass sie in Ruhe agieren konnten. Alles klappte wie geschmiert, sie verhielten sich möglichst unauffällig, seine Organisation hatte nicht einmal einen Namen.
Als bei Hamina die Autobahn begann, beschloss Arbuzow, den
Japontschik
anzurufen. Der kleine Japs Jukka Ukkola verehrte die japanische Geschichte mit einer merkwürdigen Leidenschaft. Er durfte helfen, die Probleme unter den Teppich zu kehren. Hätte er mal seine Exfrau in Schach gehalten, dann wäre dieses ganze Knäuel von Schwierigkeiten gar nicht erst entstanden.
»Hast du meine Ex getroffen?« Ukkola meldete sich am Telefon mit einer Frage.
»Ich habe es so gemacht, wie du vorgeschlagen hast, jetzt müssten wir sie im Griff haben. Dafür gibt es seit vorhin ein zusätzliches, größeres Problem. Ich wollte Krylow … von der Bildfläche verschwinden lassen, er ist die einzige Verbindung zwischen uns und der Ware, aber die Sache ist gegen den Baum gegangen.« Arbuzow berichtete von den Ereignissen in Ylämaa, soweit er es am Telefon wagte.
Ukkola fluchte. »Der Fall landet zwangsläufig bei der KRP. Ich muss die Ermittlungen jetzt sofort übernehmen, bevor die falschen Leute in Ylämaa herumstochern. Wir machen jetzt nur mit halber Kraft weiter, bis Gras über die Sache gewachsen ist.«
Jukka Ukkola saß in seinem Büro in der ersten Etage des Gebäudes der KRP in Vantaa und lehnte sich im Schreibtischsessel zurück. Er hatte die Polizeibehörde von Süd-Karelien angerufen, um die wesentlichen Informationen über die Ereignisse in Ylämaa zu erhalten, und anschließend Kriminalinspektor Markus Virta, den untalentierten Chef der Gruppe »Organisierte Kriminalität« in der Ermittlungsabteilung der KRP, angewiesen, unverzüglich nach Ylämaa zu fahren. Die Soloeinlage von Arbuzow versuchte er möglichst zu vergessen, es war besser, diesen Mann nicht zu verärgern. Arbuzow hatte eine gewaltige Organisation hinter sich und unglaublich gute Beziehungen zu den russischen Behörden.
Ukkola bewunderte seine letzte Neuerwerbung, ein
Katana
, ein handgeschmiedetes, mit traditionellen Verfahren hergestelltes Samuraischwert im Wert von zwölftausend Euro, eine exakte Kopie der Waffe von Uesugi Kenshin. Kenshin war ein lokaler Herrscher, ein
Daimyō
, und einer der berühmtesten Soldaten und Strategen der Samurai-Periode in Japan. Ukkola empfand für ihn eine tiefe Verehrung. In der legendären vierten Schlacht von Kawanakajima 1561 wendete Kenshin erstmals eine geniale Taktik an, bei der die Soldaten der vordersten Linie von Zeit zu Zeit ihren Platz mit Kämpfern aus den hinteren Reihen tauschten. So durften sich die ermatteten Soldaten ausruhen, die Verwundeten konnten weggebracht und versorgt werden, und frisches Blut kam in die vorderste Linie.
Ihm gefiel die Einstellung Kenshins. In der Samuraiperiode war es äußerst selten, dass ein Armeebefehlshaber an den eigentlichen Kämpfen teilnahm, aber nachdem Kenshin dank seiner neuen Taktik die Oberhand über den Gegner
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