weißblau queer gestreift
heute nicht auf mich warten soll. Ob sie schon von den Neuigkeiten weiß? Hilde geht ja nicht so oft zur Kirche. Aber sie könnte von meiner Mutter was erfahren haben oder von Tratschweibern wie der Winkelmoserin. Oh mei, ist mir das unangenehm! Ich werde das Telefonat ganz kurz halten. Vielleicht ist sie ja gar nicht daheim und der AB geht ran?
Mit feuchten Fingern wähle ich Hildes Nummer. Hoffentlich ist sie nicht daheim, oh bitte, nicht daheim sein … Doch Hilde ist zu Hause. Sie meldet sich mit Nachnamen. Ich räuspere mich. »Grüß dich, Hilde, ich bin’s, die Adelheid. Ich wollt’ nur Bescheid geben, dass ich krank bin und heut’ und morgen nicht mitfahr’ zum Globus.«
»Aha. Hast du schon beim Chef angerufen?«
»Ja.«
»Was hast du denn?«
»Grippe.«
»So, so. Dann gute Besserung.«
Wir verabschieden uns und ich lege auf. Ich schnaufe tief durch. Ob sie schon von dem Skandal wusste? Eigentlich klang Hilde ganz normal, kurz angebunden und sachlich, wie immer. Nur ihr Tonfall wirkte etwas skeptisch, sie schien mir meine Grippe nicht abzukaufen. Was jedoch nicht viel bedeuten muss. Schließlich mache ich hin und wieder einfach blau. Und das weiß oder ahnt sie zumindest auch.
Ich blicke aus dem Fenster und spüre, wie mein Kopf ganz leer und taub wird. Irgendwann erhebe ich mich vom Sofa und trotte zur Kaffeemaschine. Mechanisch gehe ich meiner morgendlichen Routine nach. Kaffee kochen, Zähne putzen, Gesicht waschen, anziehen. Später sitze ich am Tisch und trinke Kaffee. Ich hole die letzte Zigarette aus der Schachtel und zünde sie an. Zigaretten kaufen. Ich muss Zigaretten kaufen. Verdammte Scheiße, ich brauche Zigaretten …
Nach zwei Tassen Kaffee bin ich so weit. Es hilft ja nicht. Ich muss raus aufs Schlachtfeld. Für immer hier verschanzen geht ohnehin nicht, ich würde ja nach einigen Tagen verhungern. Und davor noch einen heftigen Nikotinentzug durchgemacht haben. Wie sehr kann sich ein Gerücht innerhalb eines Tages verbreiten? Alle Daberinger können ja wohl noch kaum davon wissen. Zur Kirche gehen höchstens zwanzig Leute. Also nur etwa ein Zehntel aller Dorfbewohner. Aber am Gemeindebrett laufen viele auch einfach so vorbei. Egal, nicht mehr denken, Augen zu und durch! Ich stecke fünf Euro Münzgeld ein. Das ist alles, was noch in der Sparsocke und im Geldbeutel war. Nun aber los. Schnell noch in Schuhe und Jacke geschlüpft und raus …
Langsam gehe ich durch die Einfahrt. Meine Nachbarin, die Luber Helga, steht im Garten und sieht mich an. Ich grüße. Sie grüßt zurück. So weit nichts Ungewöhnliches. Doch hat sie mich heute anders angesehen als sonst? Das ist schwer zu sagen. Ich darf jetzt auch nicht paranoid werden.
Vorsichtig bewege ich mich weiter, auf den Gehweg zu. Vor meinen Augen erscheint der Zigarettenautomat. Doch was ist das? Zefix, da klebt ein Zettel dran. DEFEKT . Verdammt, immer noch kaputt, das Ding! Also muss ich doch vor, zum anderen Automaten, quer durchs Dorf, in der vagen Hoffnung, dass wenigstens der wieder funktioniert … Meine Augen schweifen aufgeregt hin und her, mein Herz trommelt wild. Niemand zu sehen, nur die kleine Gisi, die im Garten der Maiers Ball spielt … Huch! Ach, eine Katze. Sie huscht an mir vorbei und verschwindet hinter einer Hecke. Ich atme tief durch und gehe weiter. Jetzt komme ich auf die Hauptstraße. Hier ist die Gefahr am größten, Leuten zu begegnen. Ich muss mich zu jedem Schritt vorwärts zwingen, würde am liebsten sofort wieder zurück ins Haus laufen.
Wie ein Alien komme ich mir vor, das Menschengestalt angenommen hat und nun auf der Erde wandelt. Eine einsame, wehrlose Außerirdische vom Planet der Lesben, die hofft und bangt, nicht von den Einheimischen erkannt zu werden. Ich stelle mir vor, wie überall potenzielle Feinde lauern, hinter jedem Busch, hinter jedem Fenster. Einige verstecken sich auch hinter Fahrzeugen und Häuserecken, um mich dann von hinten zu überfallen und ganz laut »Lesbe!« zu brüllen. Alle kommen daraufhin aus ihren Unterschlüpfen hervor, stimmen in das Geschrei mit ein und zeigen mit dem Finger auf mich. Und dann wird es morgen in allen Regionalblättern stehen, mit Bildern und fetten Schlagzeilen: »Adelheid – die Enttarnung einer bayerischen Provinzlesbe« oder »Eine heimliche Sünderin fliegt nach 36 Jahren auf«. Womöglich wird im Dorf sogar ein großer Scheiterhaufen errichtet …
Ich schüttele diese Vorstellungen wieder von mir und versuche mich zu beherrschen. So ein
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