Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
Franz und Stein ihrem eigentlichen Gespräch überlassen. Umso schwieriger erschien es Stein, den Faden der vorangegangenen Unterhaltung wieder aufzunehmen, deshalb lenkte er Franz’ Aufmerksamkeit auf den Hund, von dem die Rede gewesen war.
„Ich möchte Ihnen den kleinen Banditen vorstellen, den mir Borowsky mit Bedacht überlassen hat. Ich bin mir nach einschlägiger Erfahrung sicher, er hat den Welpen nur weggegeben, damit seine eigene Einrichtung verschont bleibe.“ Mit diesen Worten öffnete er eine Tür zum Nebenzimmer. Er forderte Franz mit einem Wink auf, ihn zu begleiten. Der Raum war eher eine Kammer. In einem Nest aus Decken lag ein Welpe, im Schlaf zusammengerollt wie eine weiße Kugel. Die Kammer war äußerst sparsam möbliert. Eine Holztruhe, ein kleiner Tisch und ein wackliger Stuhl, der vor den Angriffen nadelspitzer Hundezähne standfest gewesen sein mochte, verstreut herumliegende Holzspäne, Lederreste und Papierfetzen waren auch schon alles, was sich neben dem eigentlichen Bewohner darin befand. Die traurigen Überbleibsel der Stiefel hatte Stein dem Sieger überlassen.
Stein kniete sich an das Deckennest und streichelte das kleine Untier liebevoll.
„Ich habe ihn Zeus genannt“, sagte er sanft und seufzte. „Das war gewiss ein Fehler, denn er führt sich auch so auf.“
Franz dachte an die Eskapaden des antiken Göttervaters. Er konnte dem Impuls nicht widerstehen, den kleinen Hundekörper zu berühren. Das glatte kurzhaarige Fell fühlte sich überraschend weich und seidig an. Zeus ließ sich herab, ein Auge zu öffnen, und betrachtete seinen Besuch.
„Borowsky hat einige Zuchttiere aus England eingeführt. Die Rasse nennt sich dort ‚Bull and Terrier‘. Sie werden speziell für Bullenkampf und Sauhatz gezüchtet.“
Die Bestimmung für solche Kraftproben war Zeus beim besten Willen noch nicht anzusehen. Der kleine Körper streckte sich. Das Hundebaby hatte offensichtlich beschlossen, auf Erkundung zu gehen. Dazu wühlte es sich aus den Decken. Überrascht stellte Franz fest, dass Zeus’ anderes Auge mit schwarzem Fell umrandet war. Diese eigenwillige Laune der Natur ließ den kleinen Hund wie einen Piraten mit Augenklappe aussehen. Seine Ohren waren noch eingeknickt und hingen herunter. Das Maul dominierte einen merkwürdig geformten Kopf. Der gedrungene Rumpf war vom Babyspeck gerundet. Eine breite Brust, kräftige Beine und Pfoten ließen aber zukünftige Stärke ahnen.
Franz hatte so ein Tier noch nie gesehen und war auf Zeus’ erwachsene Artgenossen gespannt, die er am Sonntag kennenlernen würde.
„Was haben Sie mit ihm vor, hier auf dem Gut“, fragte er, weil er annahm, Stein habe eben nicht vor, eine Kampfmaschine an Hohen-Lützower Bullen auszuprobieren. Zeus sprang an seinem knienden Herrchen hoch und wedelte dabei heftig mit der Rute.
Stein wusste sofort, worauf Franz anspielte. „Ich hatte es einfach satt, immer allein zu sein“, sagte er knapp.
Franz begriff, die einfache Antwort offenbare eine sehr intime Empfindung des Mannes, der für die Geschicke Hohen-Lützows verantwortlich war. Zugleich spürte er, Stein habe ihn bewusst Anteil an seinen Gefühlen nehmen lassen. Die beiden Männer blickten sich offen in die Augen. Beide fanden Sympathie und Respekt bei dem anderen wieder und so beschlossen sie in stillschweigender Übereinkunft, gemeinsam das Mittagessen einzunehmen.
Nach ihrem Rückzug aus der Küche hatte Anne sich in die Rosenlaube des Blumengartens geflüchtet. Das Blut rauschte ihr immer noch in den Ohren und ihr Herz klopfte heftig. Sie presste die Unterarme schützend vor die Brust, dabei ehrlich bemüht, sich zu beruhigen. Es schien ihr unmöglich, jemals wieder in die Küche zurückzukehren, obwohl sie wusste, dort warte der riesige Korb Schoten auf sie.
Ängstlich schaute sie zurück in Richtung Herrenhaus. Sie vermutete die Köchin auf dem Kiesweg, wie sie wütend mit den Armen ruderte. Aber es war niemand im Garten.
Allmählich begann Anne Details ihrer Umgebung wahrzunehmen. Plötzlich begannen die Hummeln an den wilden Malven zu brummen und die Blüten an den dornigen Trieben der roten und gelben Rosen, die ineinanderverschlungen ihr Versteck umrankten, verströmten betörende Düfte.
Was war nur geschehen? Wie konnte ein einziger Blick dieses Mannes sie so durcheinanderbringen? War sie eben wirklich Herr ihrer Sinne gewesen, als sie wider ihre Natur alles stehen und liegen gelassen hatte, nur um panisch die Flucht zu
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