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Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)

Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)

Titel: Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carola Herbst
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ergreifen?
    Anne war ein hübsches, gut gebautes Mädchen. Auf ihr langes, gelocktes, kastanienbraunes Haar, das sie seit einiger Zeit unter der Haube hervorquellen ließ, ohne die üblichen Zöpfe daraus zu flechten, war sie besonders stolz.
    Sie spürte die Blicke der Burschen und jungen Männer, wenn sie an Sonntagen mit dezentem Hüftschwung und hoch erhobenem Kopf die Dorfstraße hinauf zur Kirche lief. Freundinnen wussten ihr zu berichten, schon so manches Jungenherz entflammt zu haben.
    Aber nun? Nun war sie selbst die Flamme! Sie brannte lichterloh, befürchtete, gleich zu Asche zu zerfallen. Sehnsucht überfiel sie, denn sie glaubte fest, der junge Herr werde sie niemals wieder so ansehen wie vorhin in der Küche.
    Was hatte sie immer ihren Verehrern geraten? „An Liebeskummer stirbt man nicht!“ Oder „Das Leben geht weiter!“
    Anne war sich jetzt gar nicht mehr so sicher, ob das stimmte. Ihr war eher nach Sterben zumute. Aber eines wusste sie genau, zuvor musste sie noch den Korb Schoten auspulen. Ihr Blick glitt hinüber zum Kräutergarten. Ob ein Bund Petersilie und frische Lauchzwiebeln den tatsächlichen Grund ihrer Flucht tarnen würden? Seufzend stand sie auf, zupfte an ihrer Kluft herum und machte sich auf den Weg.
    Mit einem Armvoll Gemüse erschien sie in der Küche. Elsi und alle anderen Mägde waren vollauf damit beschäftigt, die Ausgabe der Mittagsmahlzeit für unverheiratete Knechte, Mägde und Tagelöhner vorzubereiten. Anne wurde gar nicht beachtet. Erleichtert schlüpfte sie zurück auf die Bank und versuchte jedermann glauben zu machen, sie interessiere sich nur für die Schoten.
    Bei der eintönigen Arbeit glätteten sich die Wogen ihres heftigen Gefühls. Sie ließ es tief in das Schatzkästlein ihrer Träume fallen, dort – tief unten – durfte es schlummern.
     
    Die große Küche dominierte ein überlanger Tisch, der, solide gefertigt, den Eindruck machte, auch noch weitere Generationen hungriger Esser aufnehmen zu können.
    Die Bänke links und rechts füllten sich mit braungebrannten Frauen, Mädchen, jungen Burschen und Männern, die mit beachtlichem Appetit der einfachen Mahlzeit zusprachen. Besonders das obligatorische Bier wurde bei der sommerlichen Hitze gern getrunken. Anne konnte den Tisch gut überblicken. Sie musterte verstohlen die neu eingestellten Tagelöhner. Die meisten unbekannten Gesichter waren von jahrelanger schwerer körperlicher Arbeit ausgezehrt und von Falten durchzogen, was sie älter aussehen ließ, als sie tatsächlich an Jahren zählten. Braune Haut spannte sich lederartig über hervorspringende Knochen. Die Münder waren bei vielen älteren Männern eingefallen, weil große Zahnlücken die Lippen hatten zurückweichen lassen. Daher wirkten ihre Kaubewegungen wie das Mümmeln der Kaninchen, die Anne und ihre Schwestern zu Hause mästeten.
    Die meisten Zugereisten waren Polen, die sich jedes Jahr zur Erntezeit auf den langen Weg ins Mecklenburgische machten, um hier den kargen Verdienst aufzubessern.
    Annes Blicke huschten von einem zum anderen. Als sie bei ihrer Musterung bei einem blonden Burschen angekommen war, hielt sie überrascht inne.
    Den habe ich doch vorhin schon am anderen Ende des Tisches gesehen, dachte sie. Tatsächlich, dort saß noch einmal derselbe Bursche. Annes Mund öffnete sich zu einer Frage, aber sie biss sich auf die Unterlippe, zu abwegig erschien ihr der Gedanke an Gespenster und andere Erscheinungen. Zumal sich die Tischgenossen der Burschen nicht daran störten, mit beiden eine Mahlzeit einzunehmen. Verwirrt rutschte sie auf der Bank hin und her und suchte Elsis Blick. Aber die Köchin war mit der eigenen Arbeit beschäftigt. Sie bemerkte Annes Unruhe nicht.
    Anne riss sich von der Szene am Tisch los und konzentrierte sich auf die Hülsenfrüchte zu ihren Füßen. Erbse um Erbse schälte sie mit dem Daumennagel aus den aufgebrochenen Schoten. Manchmal kam sie sich wie eine Riesin vor, die die einträglich beieinanderschlummernden Früchtchen unbarmherzig aus ihrer schützenden Hülle riss, besonders dann, wenn sie kleine weiße Maden bei ihrem heimlichen Tun überraschte. Die Winzlinge reckten erschrocken ihre Köpfchen empor, sobald das grüne Dach über ihnen aufsprang und die vor Eindringlingen sicher geglaubte Nahrung einfach davonkullerte.
    Als der allgemeine Aufbruch der Landarbeiter die gewohnten Küchengeräusche überlagerte, kehrten Annes Gedanken zu den beiden Burschen zurück. Hastig sprang sie auf und half

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