Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
beim Abräumen des Geschirrs. Kaum hatte sie sich zu den anderen Mägden an den Tisch gesetzt, um die gemeinsame Mahlzeit einzunehmen, da platzte es auch schon aus ihr heraus: „Habt ihr auch den doppelten Burschen gesehen?“
Verwundert schauten sich die Frauen an, dann brach Gelächter aus. Anne fuhr verärgert dazwischen.
„Was gibt es da zu lachen? Ich bin nicht verrückt; ich habe ganz deutlich zweimal denselben Jungen hier am Tisch sitzen sehen.“ Trotzig reckte sie das Kinn vor und verschränkte die Arme vor der Brust.
Helga war die Erste, die die Sprache wiederfand. Sie wischte sich über die Augenwinkel, in denen für gewöhnlich die Spottlust wohnte, und fragte Anne: „Erinnerst du dich nicht an die zwei niedlichen Kälbchen, die die Rotgescheckte letztes Jahr zur Welt gebracht hat?“
Anne machte große Augen, Helgas Gleichnis wollte ihr nicht einleuchten. Ihr lag eine patzige Antwort auf der Zunge, als sie endlich begriff. „Du meinst, so etwas gibt es auch bei uns? Eine Frau kann zwei Kinder mit einem Mal auf die Welt bringen und eins sieht dann aus wie das andere?“
Helga zog die Stirn kraus und schüttelte bedächtig den Kopf. „Nein! Nicht immer“, wiegelte sie ab, „bei Mädchen und Junge dürften sie sich kaum gleichen“, fügte sie nachdenklich hinzu. Die übrigen Frauen kicherten und machten sich über gewisse, sofort ins Auge fallende Unterschiede lustig.
Elsi hatte auch etwas beizutragen und dozierte wie ein Schulmeister: „Ich kenne zwei Männer, die waren in der Franzosenzeit als Soldaten hier. Die feierten am selben Tag ihren 18. Geburtstag und behaupteten, Brüder zu sein. Was soll ich euch sagen, die Jungs sahen sich nicht einmal ähnlich.“
Anne machte ein unzufriedenes Gesicht.
„Ja, was denn nun?“, fragte sie gereizt. Sie blickte die Frauen an und wartete.
„Na ja ...“, begann Helga, aber zu einer Zusammenfassung kam es erst gar nicht, die Hintertür wurde geöffnet. Verwalter Stein und der junge Herr traten ein, was die Tischrunde der Mägde auflöste. Sie sprangen von den Bänken auf und strebten ihrer jeweiligen Arbeit zu.
„Elsi, deck im Speisezimmer“, verlangte Stein im Vorübergehen. An der Tür zur Halle drehte er sich noch einmal um und gab der Köchin ein Zeichen, sich zu sputen.
„Als ob ich mich den ganzen Tag dem Müßiggang hingebe“, murmelte sie ärgerlich. Verstohlen schaute sie sich um, ob die anderen Frauen ihre Aufsässigkeit bemerkt hätten. Dann beeilte sie sich, das Essen für die beiden Herren anzurichten.
Stein wollte mit Franz Dinge besprechen, die nicht für die Ohren der wissbegierigen Frauen bestimmt waren, deshalb schloss er die Speisezimmertür hinter sich.
„Nun, bevor Elsi so weit ist, möchte ich gern einen Aperitif mit Ihnen trinken.“ Er bot Franz an, in einem der Plüschsessel am Fenster Platz zu nehmen. Zur Sitzgruppe gehörte ein Rauchtischchen, auf dem zwei kleine Glaskelche standen. Stein machte sich inzwischen an einer Anrichte zu schaffen, schimpfte dabei, schließlich zog er, vermutlich aus einem schlecht erreichbaren Winkel des Möbels, eine Karaffe hervor. Als er die klare Flüssigkeit einschenkte, nahm seine Miene etwas Verschwörerisches an.
„Auf Ihre Gesundheit.“ Aufmunternd hob er ein Glas in Richtung seines Gastes und roch an dem Getränk. Franz tat es ihm nach. Das fruchtig-scharfe Aroma verriet ihm, er habe einen Obstbrand vor sich. Er kostete vorsichtig.
„Nein, nein, Sie machen das völlig falsch!“
Steins Warnung kam leider zu spät. Franz verzog bereits nach dem Schlückchen das Gesicht. Hustend und um Atemluft ringend schnappte er nach Luft.
„Was ist das für ein Teufelszeug“, krächzte er, sich die feuchten Augen wischend.
Stein lachte respektlos. „Verzeihen Sie, ich habe angenommen, Sie seien mit Pflaumengeist vertraut. Ich werde Ihnen zeigen, wie man den trinkt.“ Er setzte sein Glas an und leerte es in einem Zuge, dabei ließ er die gesamte Flüssigkeit nur in die Mundhöhle laufen, erst dann schluckte er und atmete anschließend aus. Steins Augen strahlten, als der Schnaps seinen fruchtigen Geschmack entfaltete.
„Der ist wirklich ausgezeichnet“, versicherte er. „Wir brennen ihn selbst und verwenden nur ausgesuchte, reife Früchte.“
„Oh, das glaube ich Ihnen gern, aber ich ziehe es vor, erst das Mittagessen einzunehmen.“ Franz stellte sein Glas beeindruckt beiseite.
Die Köchin trat ein. Sie balancierte ein großes Tablett vor ihrem üppigen Busen. Das
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