Weiße Nächte, weites Land
spöttischen Lächelns. »Als fidele Witwe werden dir die Männer aus allen Kolonien die Hütte einrennen.«
Christina presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen, und Eleonora hätte viel darum gegeben, ihre Gedanken zu erraten. Wünschte sie Matthias den Tod? War ihre Schwester so herzlos? Wenigstens verzichtete sie auf eine Erwiderung und schloss nur leise die Tür.
Seit sechs Tagen rang Matthias mit dem Tod. Eleonora nahm seine Hand in ihre, streichelte sie.
»Es tut gut, dich hier zu haben«, sagte er leise. Die Krämpfe hatten nachgelassen, die Schweißausbrüche waren geblieben.
»Ich bin froh, wenn ich dir helfen kann. Fühlst du dich besser?«
Er nickte leicht. »Ein bisschen vielleicht, ja. Himmel, was mag das bloß sein? Etwas Vergleichbares habe ich noch nie erlebt.«
»Der Doktor wird es herausfinden. Er will sich mit seinen Kollegen in der Sarepta-Kolonie besprechen.«
Eine Weile schwiegen sie, sahen sich nur an und fühlten all das, was schon so lange zwischen ihnen schwang und was sie nie auszusprechen gewagt hatten. Nun stand in ihren Augen die Liebe geschrieben, die sie füreinander empfanden.
»Es darf nicht sein«, sagte Eleonora.
»Doch, es wird sein«, erwiderte Matthias. »Irgendwann. Ich liebe dich, Eleonora.«
Obwohl ihr Herz überquoll vor inniger Zuneigung, blieben ihre Lippen stumm. Er war der Mann ihrer Schwester, und was die beiden in ihrer Ehe durchlitten, ging sie nichts an.
»Christina hat beim Pastor vorgesprochen«, erzählte Matthias, ohne Eleonoras Hände loszulassen. »Sie wollte die Scheidung, aber er hat zur Bedingung gemacht, dass wir uns öffentlich auspeitschen lassen.« Er stieß ein leises Lachen aus. »Ich finde das so aberwitzig. Du nicht?«
Eleonora schüttelte ernst den Kopf. »Eine Ehe wirft man nicht einfach weg wie ein Kleid, das zu eng geworden ist.« Ihr Blick fiel auf ihre rechte Hand und den Silberreif, den sie noch niemals abgestreift hatte und der so fest am Finger saß, als wäre er ein Teil von ihr.
»Ach, Eleonora … Wollen wir nicht aufhören, uns was vorzumachen? So viele Jahre sind ins Land gezogen … Wir beide, du und ich, wissen schon lange, dass ich aus Nachlässigkeit und Gleichgültigkeit die falsche Schwester gewählt habe. Es war der größte Fehler meines Lebens, aber ich bin nicht bereit, bis an mein Lebensende dafür zu bezahlen. Ich will glücklich werden, Eleonora. Mit dir. Mit Sophia. Wenn ich nur überlebe …«
»Was soll aus Christina werden?«
Wieder lachte Matthias, fasste sich aber gleich an den Leib und verzog das Gesicht. »Die ist in jeder Situation glücklicher als in der Ehe mit mir. Glaub mir, sie wünscht sich nichts sehnlicher als die Trennung. Wir werden einen Weg finden, Eleonora, ich verspreche es dir. Komm mal her …« Er fasste an ihr Kinn und zog sie zu sich, um ihre Lippen mit seinen zu berühren.
Eleonora beugte sich vor und legte ihr Gesicht in seine Halsbeuge. Wie oft hatte sie von diesem Moment, da sie Matthias so nah sein würde, geträumt. Und nun, da es so weit war, blieben ihr am Lager des todkranken Mannes vielleicht nur wenige Tage oder Stunden, in denen sie sich mit ihm verbunden fühlte, wie sie es sich ersehnt hatte. Die Tränen, die über ihre Wangen liefen, mischten sich mit seinem Schweiß, während sie sich in den Armen hielten.
Christina stieß sich von der Tür ab, als es drinnen still wurde. Die Bauweise der Hütten aus grobbehauenen Baumstämmen brachte es mit sich, dass nicht nur der Wind durch alle Ritzen pfiff, wenn es stürmte, sondern dass auch jedes geflüsterte Wort hinter geschlossener Tür zu fremden Ohren drang.
Sie hatte mitbekommen, wie sich die beiden da drinnen ihre Liebe gestanden, und das erste Gefühl, das sie überwältigte, als sie den Sinn erfasste, war Erschütterung über ihre Blindheit.
Wie hatte es passieren können, dass ihr das, was da zwischen ihrer Schwester und ihrem Ehemann schwang, völlig entgangen war? War sie tatsächlich so sehr auf sich selbst fixiert, dass sie taub und blind war für die Gefühle anderer Menschen?
Seit wann das wohl so ging?
Ob Eleonora schon von Matthias geschwärmt hatte, als sie in Hessen lebten? Was mochte in ihrer Schwester vorgegangen sein, als sie ihr freudestrahlend verkündete, sie werde den Matthias Lorenz heiraten und für sie, Eleonora, bleibe ja Franz, der ebenfalls ein stattlicher Kerl sei.
Himmel, wäre alles viel leichter gewesen, wenn sie ihre albernen Neckereien mit Franz damals vergessen
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