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Weiße Nächte, weites Land

Weiße Nächte, weites Land

Titel: Weiße Nächte, weites Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Sahler
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mit der Sau, wie der Vater wieder einmal die Mutter auszankte. Die Mistgabel hatte er auch gesehen. Und das Blut wie die Kesselsuppe beim Metzger nach dem Schlachten. Und jetzt Bernhard, der liebe, liebe Bernhard, der zusammen mit der Mutter den schlafenden Vater schleppte.
    Wie komisch die Mistgabel aus dem rausguckte.
    Alfons kicherte in seine Hand, und als es in der Rechten piepste, merkte er, dass er die kleine Katze viel zu fest gedrückt hatte. Rasch öffnete er die Faust, schmiegte für einen Moment die stoppelige Wange an das weiche Fell, bevor er das Tierchen wieder zu seinen fünf Geschwistern legte, die in dem Nest aus Stroh umeinander herumtollten, von der Mutterkatze beobachtet, die sich seitlich legte, um dem Nachwuchs die Zitzen anzubieten.
    Ein warmes Gefühl wie heiße süße Milch an einem Frosttag durchströmte Alfons, als er nun beobachtete, wie sich die Kleinen auf wackeligen Beinen ihren Platz erkämpften.
    Hier seid ihr sicher, dachte er, faltete die Hände, senkte die Lider und betete, dass der Vater noch sehr, sehr lange schlafen möge. Lange genug, bis die Kätzchen zu groß wären, um sie im Dorfweiher in einem Sack zu ersäufen.

3. Kapitel
    S chau dir das an! So einen Zulauf hat die Kirche noch nie erlebt. Aber ob’s den Pfarrer freut?« Matthias Lorenz starrte aus dem Fenster des Wirtshauses »Zum goldenen Krug« auf den Vorplatz der Marienkirche in Büdingen und nahm einen langen Schluck aus dem Bierkrug. Mit dem Hemdsärmel wischte er sich den Schaum von den Lippen.
    Menschentrauben bildeten sich draußen auf dem gepflasterten Platz, lösten sich wieder auf, gruppierten sich neu. Unter ihnen erkannte Matthias Lorenz mehr als drei Dutzend Brautpaare, die die Vermählungszeremonie entweder bereits hinter sich gebracht hatten oder noch darauf warteten, dass der Pastor sie ins Gotteshaus rief.
    Die spätwinterliche Wolkendecke hing dick wie Milchsuppe über dem Kirchturm, als wollte sie sich jeden Moment über den Köpfen der Menschen entleeren. So träge wie die Wolken bewegten sich die Menschen. Kein ungeduldiges Trippeln, kein freudiges Juchzen, und herausgeputzt hatte sich auch kaum einer der Brautleute. Mit ernster Miene schüttelten sich Väter die Hände, klopften Ältere den Jüngeren auf die Schulter, steckten die Brautmütter die Köpfe zusammen. Schnell trotteten die Hochzeitsgäste wieder davon. Die Frischvermählten gingen ihren Besorgungen nach, als hätten sie nicht soeben den Bund fürs Leben geschlossen und einem anderen Menschen die Treue bis zum Tod geschworen.
    Nur wenige der Brautleute hielten sich an den Händen, die meisten standen steif und stumm, die Pflastersteine zählend, beieinander und warteten darauf, dass sie die Zeremonie hinter sich brachten.
    »Dem Pastor beschert’s wohl Höllenträume«, erwiderte Matthias’ Bruder Franz mit einem Grinsen, bei dem sich die haarfeine Narbe, die sich von seiner Schläfe bis zum Kinn zog, spannte. »Mit jedem Paar, das er traut, gehen ihm zwei Schäfchen seiner Gemeinde verloren. Wahrscheinlich beißt er sich jede Nacht vor Wut darüber in den Hintern, dass er das Manifest der russischen Zarin verkündet hat. Konnte keiner ahnen, dass die Menschen dermaßen darauf anspringen …«
    Matthias stieß ein Schnauben aus und warf die kastanienbraunen Haarsträhnen mit einem Rucken aus der Stirn. »Das konnte sich jeder vernünftig denkende Mensch an den Fingern abzählen«, erwiderte er. »War doch klar, dass sie nach diesem Strohhalm greifen, und wenn das Werberpack Eheleute bevorzugt … Tja, da packt man sich halt den Nächstbesten und schleppt ihn zum Traualtar, wenn’s hilft.« Er strich sich mit den fünf Fingern seiner schwieligen Pranke das widerspenstige Haar zurück. Die Sorgenfalten, die er dabei entblößte, passten nicht zu seinem jugendlichen Gesicht. Wangen und Kinn hatte er im Gegensatz zu den meisten Männern Anfang zwanzig glatt rasiert, wodurch seine dunklen Brauen über den brombeerschwarzen Augen betont wurden.
    Der Bruder drehte den Bierkrug in den Händen und stierte in die schaumlose Brühe, als läse er ein Orakel.
    »Spuck’s aus!«, warf Matthias ihm grinsend hin.
    Franz hob das Gesicht und kniff unter den krausen mausblonden Stirnhaaren ein Auge zu. »Ich dachte, du würdest mich irgendwann ansprechen, hab’ täglich darauf gewartet …«
    Warum denn so umständlich?, ging es Matthias durch den Sinn.
    Er kannte Franz nur laut und lärmend wie einen Jahrmarktschreier.
    »Ist dir nie der

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