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Weiße Nächte, weites Land

Weiße Nächte, weites Land

Titel: Weiße Nächte, weites Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Sahler
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bessergehen«, sagte sie leise. »Vertrau mir, Eleonora, ich weiß das.«
    Bernhard und Anja starrten auf die Tischplatte. Jetzt drückte Bernhard das Kreuz durch. »Mir erschien es zwar auch zunächst voreilig, aber je länger ich darüber nachdenke: Ja, Christina, ich glaube, dass mehr Ruhe ins Dorf einkehren wird, wenn du uns verlässt. Ich denke, dass es zu deinem Besten ist. Du passt nicht hierher.«
    Bernhard und Christina maßen sich sekundenlang mit Blicken.
    Schließlich nickte Christina. »Dies aus dem Mund des Vorstehers zu hören schmerzt, aber es bekräftigt meinen Entschluss.« Ihre Stimme klang belegt.
    Eleonora war sich sicher, dass sie sich nicht so gelassen fühlte, wie sie sich gab.
    »Hast du bereits darüber nachgedacht, wie und wohin du zu reisen gedenkst?«, fragte Bernhard.
    Geheimnisvoll lächelnd hob Christina eine Schulter. »Ich werde sehen …«
    Bernhard nickte. »Aber dir ist bewusst, dass du nicht ohne Begleitung aufbrechen kannst. Du würdest nicht einmal Saratow erreichen.«
    Ein Schatten fiel über Christinas Gesicht, während sie dem Vorsteher zuhörte.
    Eleonora rang um Fassung. Schmiedeten sie hier tatsächlich Pläne für Christina Abreise? Und sie saß dabei und vermochte es nicht zu verhindern! »Was soll aus Alexandra werden? Wirst du sie mitnehmen oder nachholen?«
    Christina wandte ihr das Gesicht zu. Wie vereiste Seen wirkten ihre Augen. Sie drückte wieder die Finger der Schwester. »Du wirst sie nicht im Stich lassen, Eleonora. Du warst schon immer die Mutter, die ich nie sein konnte. Und in der Gemeinschaft der Kolonisten fühlt sie sich geborgen wie in der Familie, die sie nie wirklich hatte.«
    Schwindel erfasste Eleonora.
    »Ich weiß von einer Abordnung«, sagte Bernhard, »aus der Sarepta-Kolonie, die sich nächste Woche auf den Weg nach Sankt Petersburg machen will. Ich werde dafür sorgen, dass du dich ihnen anschließen kannst. Ich nehme an, das kommt deinen Plänen zupass.«
    Ein Funkeln wie von tausend Sternen glitzerte in Christinas Augen. Sie lächelte und schien in Gedanken bereits viele Meilen weit weg zu sein.
    Eleonora schlug die Hände vors Gesicht und weinte.

36. Kapitel
    Kolonie Waidbach, ein Monat später
    A uf keinen Fall wirst du aufs Feld gehen. Es sind genug Hände da, die die Ernte einbringen. Du bist noch viel zu schwach. Und du wirst auch nicht nach Saratow aufbrechen. Schick einen, der dich bei den Geschäften vertreten kann!« Eleonora funkelte auf Matthias herab, der zwischen Sophia und Alexandra und gegenüber von Klara am Tisch saß. Eleonora hielt einen schweren Laib Brot in der Armbeuge und säbelte dicke Scheiben davon ab, die sie auf die Teller verteilte, während sie um den Tisch herumging.
    Matthias’ Grinsen ließ sein nach wie vor schmales Gesicht in tausend Runzeln zerspringen. Seine Schultern wirkten knochig, die Haut an seinem Hals warf Falten. Aber in seinen Augen lag ein Glitzern, das von innerer Freude sprach.
    »Was sagst du, Klara«, wandte er sich an die jüngere Schwester, »benimmt sich Eleonora nicht wie ein keifendes Eheweib?«
    Klara schlug die Hand vor den Mund und kicherte. Auch Sophia lachte mit, nur Alexandra kaute mit unbewegter Miene an der Brotrinde. Ihre Züge wirkten wie eingefroren, jede Bewegungen schien sie Mühe zu kosten, alles Kindlich-Fröhliche war verflogen.
    Es beunruhigte Eleonora über die Maßen, dass die Kleine wie erstarrt wirkte, seit ihre Mutter sie verlassen hatte. Nie hatte man sie seitdem lachen gesehen. Ihre Augen erschienen wie dunkle Abgründe mit einem winzigen Glimmen am Grund.
    Die ersten Tage nach Christinas Abschied hatte Eleonora viel mit ihr geredet, sie auf den Schoß genommen und gestreichelt und tröstende Worte in ihr Ohr geflüstert, aber das Schreien in der Nacht, wenn sie aus Alpträumen erwachte, ließ nicht nach, und die Lebendigkeit kehrte in ihre Züge nicht zurück.
    Die Zeit wird ihre Wunden heilen, hoffte Eleonora und nahm sich vor, eine Umgebung für das Kind zu schaffen, in der es sich geborgen und angenommen fühlte. Sophia war eine passende Spielgefährtin für Alexandra, Klara behandelte sie nicht weniger fürsorglich als die andere Nichte, und sie hatte ihren Vater und ihre Tante bei sich. In diesem Haus wurde viel gescherzt und gelacht. Irgendwann würde die Fröhlichkeit zu ihr zurückkehren.
    Sie mussten nur Geduld haben. Viel Geduld. Und über all die Kleinigkeiten hinwegsehen, die nicht dazu beitrugen, Zuneigung für sie zu empfinden. Wenn sie Sophia

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