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Weiße Nächte, weites Land

Weiße Nächte, weites Land

Titel: Weiße Nächte, weites Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Sahler
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Christina nicht, stimmt’s? Du freust dich, wenn sie zu Schaden kommt.«
    Anton von Kersen riss die Augen kreisrund auf und bemühte sich um eine Unschuldsmiene. Er trat einen Schritt zurück und hob beide Hände. »Der Herr ist mein Zeuge, solch niederträchtige Gedanken liegen mir fern. Aber könntest du mit der Gewissheit leben, dass wir eine unter uns haben, die ein falsches Spiel treibt? Gewiss bin ich nicht der Einzige mit solchen Befürchtungen …«
    »Genau das ist das Problem«, murmelte Veronica. Ihr schwante Übles, wenn sie sich vorstellte, dass sich die Waidbacher zusammenrotten könnten, sobald die ohnehin schwelenden Gerüchte durch Alexandras haarsträubende Geschichte neue Nahrung bekamen.
    Was sollte sie tun? Bernhard um eine Versammlung bitten? Oder gleich zu Christina laufen und sie warnen?
    Ob ein Eingreifen ihrerseits etwas verändert hätte, sollte Veronica nicht mehr erfahren. Denn wenige Stunden später sammelte sich eine wogende Menge vor der Hütte des Dorfvorstehers und forderte drohend und lärmend, Christina Lorenz, geborene Weber, für alle Zeit aus der Kolonie zu verbannen.

    Auch an diesem Abend zog es Christina nach draußen in die kühle Nachtluft, weil sie das Siechtum in ihrer Hütte kaum noch ertragen konnte.
    Allerdings hatte sich Matthias am späten Nachmittag zum ersten Mal in seinem Bett aufgerichtet und tatsächlich ein paar Löffel der Gemüsesuppe, die ihm Eleonora geduldig mit einem Holzlöffel einflößte, bei sich behalten.
    Er war abgemagert, die Rippenbögen drückten sich durch das dünne Hemd, die Wangen wirkten wie ausgehöhlt, die Nase spitz. Seine Augen in dem schmalen Gesicht schimmerten unnatürlich geweitet. Aber Eleonora hatte gelächelt, und Christina hatte das Glück in ihren Zügen gesehen. Es schien, als hätte Matthias das Schlimmste überstanden.
    Und nun? Wie ging es weiter?
    Sosehr sie darum rang, konnte Christina den Wirbel an Gedanken doch nicht eindämmen. Immer wieder fluchte sie oder stampfte mit dem Fuß auf, wenn sie erneut an einem Punkt anlangte, der in eine Sackgasse führte.
    Wie schwarze, mit Edelsteinen bestickte Seide wölbte sich der Nachthimmel über ihr. Tief sog sie die klare Luft ein, als wollte sie sich innerlich reinigen.
    Da nahm sie aus dem Augenwinkel wahr, wie sich auf der Dorfstraße eine Lichterprozession bildete. Sie hörte aus der Entfernung das Gemurmel und einzelne jähzornige Rufe. Das Licht setzte sich in Bewegung, als fräße es sich voran.
    Was war da los? Wohin zogen die Leute?
    Sie schlang die Wollstola fester um den Hals und folgte den Leuten in sicherem Abstand. Wenn es eine Versammlung gab, warum hatte ihr niemand Bescheid gegeben?
    Kurz darauf kam die Menge zum Stillstand. Christina erkannte, dass sie vor dem Haus des Dorfvorstehers verharrte.
    »Komm raus, Bernhard, wir müssen mit dir reden!«, rief der Kolonist an der Spitze der lärmenden Rotte mit dunkler Stimme und reckte die Fackel.
    Da öffnete sich die Tür der Hütte. Bernhard knotete die Kordel um die Kutte, während er hinaustrat. Hinter ihm tauchte Anja in ihrem Kaftan auf, die Kapuze über das Gesicht gezogen, die Arme vor der Brust verschränkt. Sie blieb einen Schritt zurück.
    »Was ist in euch gefahren?«, raunzte Bernhard die Leute an. »Was gibt es Wichtiges, dass ihr herumschleicht wie ein Gespensterzug? Hat das keine Zeit bis morgen?«
    »Die Sache duldet keinen Aufschub.«
    Christina erkannte nun den Sprecher. Es war einer der älteren Kolonisten, ein pockennarbiger Kerl mit üblem Mundgeruch, den sie bei der letzten Feier ausgelacht hatte, als er sie zum Tanz bat, nachdem seine Frau mit Kopfschmerzen zu Bett gegangen war.
    »Es geht um die Weberin Christina.«
    Ein Ruck ging durch Christinas Körper. Ihre Zunge wurde trocken. Unwillkürlich duckte sie sich und schlich näher heran.
    Anja stand steif neben ihrem Mann, mit wachsamem Blick unter der Kapuze.
    Bernhard blieb gelassen, hoch aufgerichtet in der hellgrauen Kutte fragte er: »Was ist es, was ihr nicht mit ihr selbst besprechen könnt, so dass ihr mich um diese Zeit stört?«
    »Wir wollen, dass sie das Dorf verlässt!«, schrie nun ein Jüngerer. Seine Stimme kippte, als hätte er den Stimmbruch noch nicht lange hinter sich.
    »Genau! Wir dulden keine Giftmörderin unter uns!« Das Raunen in der Menge schwoll zu einem zustimmenden Gemurmel. Hier und da reckte einer die Faust in die Höhe. »Jagt das Weibsbild davon!« – »Warum knüpfen wir sie nicht gleich an den nächsten

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