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Weiße Nächte, weites Land

Weiße Nächte, weites Land

Titel: Weiße Nächte, weites Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Sahler
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die Stirn geschrieben, dass sie ihr Glück gefunden hatten.
    »Wann wollt ihr es verkünden? Wann soll die Hochzeit sein?«, sprudelte sie hervor, während Matthias von einem Ohr zum anderen grinste und Eleonora verlegen an ihren Fingernägeln spielte.
    »Erst müssen wir mit Christina reden«, erwiderte Matthias. »Ich will unser neues Leben nicht auf schwankendem Grund aufbauen. Die Scheidung muss vollzogen und alles geklärt sein. Hast du inzwischen Nachricht aus Sarepta, Bernhard, wie es der Reisegruppe ergangen ist und wo sie Christina abgesetzt haben?«
    »Nein, der Weg nach Petersburg zieht sich. Wem erzähl’ ich das«, sagte er mit einem freudlosen Lachen. Es gab wohl keinen in der Kolonie, der den Weg von Norden nach Süden durch das russische Reich jemals vergessen würde. »Aber ich habe andere Nachrichten.«
    Die drei beugten sich vor und lauschten gespannt.
    »Dr. Frangen hat Erkundigungen über deine Krankheit eingezogen und Erstaunliches herausgefunden. Du warst doch an deinem letzten Abend in Saratow zu einem Geschäftsessen mit den Seidenhändlern und den Handelspartnern aus Sarepta, richtig?«
    Matthias zog die Stirn beim Nachdenken kraus. »Ja, ich erinnere mich, aber …«
    »Nun, auch die Männer aus Sarepta wurden krank. Zwei von ihnen sind gestorben.« Er schluckte und schwieg einen Moment. »In Sarepta haben sie eine Fleischvergiftung diagnostiziert. Offenbar wurde bei dem Essen verdorbener Lammschinken gereicht. Ich nehme an, du hast ihn ebenfalls gekostet?«
    Matthias klappte der Kiefer hinunter. »Der Lammschinken, mein Gott. Ja, ich erinnere mich an den eigenartigen Nachgeschmack, den ich auf die fremdländische Würzung geschoben habe. Himmel, eine Fleischvergiftung …«
    Eleonora nahm seine Hand.
    »Du kannst dem Herrn danken, dass du überlebt hast. Verdorbenes Fleisch zu essen bedeutet in den meisten Fällen den sicheren Tod.«
    Eleonora stand auf und schenkte allen aus einem bauchigen Krug Kwass in die Becher. Sie holte die Flasche Wodka, die sie nur für besondere Gelegenheiten aufbewahrte, während in den anderen Hütten der Kolonie der Schnaps Abend für Abend in Strömen floss. Es gab nur wenig, was die Kolonisten von den Russen übernommen hatten, aber trinken und mit schwankender Stimme schwermütige Lieder anstimmen konnten sie längst so gut wie diese.
    In das Schweigen hinein sagte Eleonora: »Alle sollten das wissen. Alle sollten wissen, dass sie unrecht hatten, als sie Christina als Giftmörderin beschimpften. Das sind wir ihr schuldig.«
    Bernhard sah auf. »Ich gebe dir recht, Eleonora. Aber glaubst du, auch nur einen wird das Gewissen drücken? Ob Giftmörderin oder nicht – die Menschen hier danken dem Himmel, dass Christina die Kolonie verlassen hat.«
    »Sollen Sie dem Himmel danken und sich im gleichen Atemzug an die eigene Nase fassen«, fuhr Eleonora auf. »Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein. Ich jedenfalls wünsche meiner Schwester nur das Beste auf ihrem Weg. Und dass sie endlich das Glück findet, nach dem sie sich in diesem Land so sehnt«, fügte sie leiser an.
    »Darauf lasst uns die Becher heben!«, schlug Matthias vor und schenkte allen Wodka ein.
    Doch noch bevor sie anstoßen konnten, ließ ein Klopfen an der Haustür alle zusammenfahren. Wer mochte das zu später Stunde sein?
    Matthias erhob sich und entriegelte die Tür. Vor ihm stand mit zerzausten Haaren, grauem Gesicht und in abgerissenen Kleidern Daniel Meister.
    Er lächelte den Hausherrn an. »Verzeih, wenn ich euch so überrasche!«, murmelte er. »Darf ich trotzdem reinkommen? Die Ritt war anstrengend.«
    Die anderen am Tisch sprangen auf und drängten sich an die Tür. Sie bestürmten Daniel mit Fragen, bis sie bemerkten, dass er sich vor Schwäche kaum noch auf den Beinen halten konnte.
    Bernhard und Matthias führten ihn an den Tisch, und Eleonora beeilte sich, ihm Brot und Ziegenkäse zu reichen und die Mittagssuppe im Topf über dem Feuer aufzuwärmen. Der würzige Duft nach gekochtem Rindfleisch durchzog die Hütte.
    Alle warteten begierig darauf, dass Daniel berichtete. Wie stand es wirklich um Moskau? Wie weit hatte sich der Schwarze Tod bereits ausgebreitet? Wie war es dem Erschöpften gelungen, heil aus der Stadt zu fliehen?
    Daniel antwortete einsilbig mit müder Stimme und vertröstete die Freunde auf später, wenn er gegessen und getrunken habe. Ihm sei schwindelig vor Schwäche, und außerdem … Er sah sich immer wieder wie getrieben mit flackerndem Blick in

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