Weiße Nächte, weites Land
ihre Haare kunstvoll zu einem Rad zusammensteckten und einen Kranz auf ihren Kopf drapierten.
Für Andreas hatte Klara ein Sträußlein aus Jelängerjelieber, Sternblumen und Salbei gepflückt, das einen so durchdringenden Duft verströmte, dass alle Hochzeitsgäste lachend die Nase rümpften, aber Andreas hatte es an seinem Rock getragen und keine Miene verzogen.
Im Baumgarten neben dem Hof, beschattet von Walnusskronen und wilden Kastanien, hatten die Scheids mit ihren Freunden aus Böcken, Brettern und Blöcken eine lange Tafel zwischen den Blumenbeeten aufgebaut. Und wie die Gäste im Chor mit lautem »Aaaah« die Hochzeitssuppe begrüßten! Noch heute hatte Eleonora den Duft der würzigen Hühnerbrühe in der Nase. Was für ein fröhliches, unvergessliches Fest! Schon bald war das Gras im Baumgarten niedergetanzt, denn der Dorfmusikus spielte ohne Unterlass die muntersten Weisen auf seiner Geige. Ein Lärmen, ein Springen, ein Kreischen und Jubilieren, und zwischendurch fanden sie und Andreas immer wieder Gelegenheit, sich in die Arme zu nehmen und sich verliebte Worte ins Ohr zu tuscheln.
Es waren diese Bilder, die Eleonora mit Waidbach verbanden, die aus dem unbedeutenden Dorf mitten in Hessen den Ort zauberten, den sie Heimat nannte.
Waidbach zu verlassen bedeutete auch, diese Erinnerungen abzustreifen wie einen abgetragenen Mantel, zuzulassen, dass die Bilder verblichen.
Ihr Blick fiel auf den zierlichen Silberreif an ihrem rechten Ringfinger, den ihr Andreas in einer Vollmondnacht im Mai angesteckt hatte, noch bevor er sie zum Traualtar führte. Als Zeichen ihrer Verbundenheit. Sie drehte den Ring, strich mit der Fingerkuppe darüber. Wenn sie Waidbach verließ, wäre dieses Schmuckstück – neben Sophia – die letzte Verbindung zu dem geliebten Mann.
Der Heimat den Rücken zu kehren bedeutete für Eleonora, ihr Herz in Stücke zu zerreißen. Ein Teil von ihr würde hier bleiben. Immer.
Es hatte keinen anderen Mann nach Andreas gegeben.
Wie sollte sie jemals wieder einen lieben wie ihn?
Sie waren Seelenverwandte gewesen – einen Zweiten gab es nicht auf der Welt.
Sie bemerkte die Blicke der Burschen aus Waidbach und den Nachbardörfern, wann immer sie ihnen begegnete, aber man ließ sie in Ruhe. Keiner versuchte ernsthaft, sich ihr zu nähern. Mochte es an ihrer abweisenden, unnahbaren Haltung liegen – oder daran, dass sich keiner auf eine junge Frau mit dem Kind eines anderen einlassen wollte.
Nur ein einziges Mal hatte sie das Gefühl beschlichen, dass ihr Herz im Umgang mit einem Mann auch nach dem Tod ihrer Jugendliebe höherschlagen könnte, wenn sie es nur zuließe.
Sie war mit Sophia beim Dorfbäcker gewesen, um Brot zu holen, als der breitschultrige Knecht Matthias Lorenz sie ansprach, die Kappe in den Händen knetend. Es tue ihm leid, was ihr widerfahren sei. Wenn sie Hilfe brauche, könne sie sich jederzeit an ihn wenden.
Ein paar Sekunden lang schauten sie sich an, bis Eleonora ihm eines ihrer seltenen Lächeln schenkte. Irgendetwas Vertrautes glitzerte in seinen Augen. Es faszinierte sie, als blickte sie unerwartet auf den Grund eines tiefen, klaren Sees.
Da Eleonora die Dorffeste mied, bei denen sich die jungen Leute vergnügten, war es zu einer weiteren Begegnung nie gekommen …
»Hast du gehört? Die Elsa und der Xaver heiraten«, unterbrach Christina im heiteren Ton ihr Nachdenken.
Eleonora wandte den Kopf. Ihre Schwester hatte begonnen, die Küche zu fegen, nachdem das Geschirr gesäubert war und der Kessel über der Feuerstelle abgenommen.
»Wie? Die konnten sich doch schon als Kinder nicht ausstehen und haben sich gegenseitig die niederträchtigsten Streiche gespielt«, erwiderte Eleonora halbherzig. Was scherten sie die Liebeleien der anderen?
Christina hob die Schultern und führte den Besen um die Stühle herum. Ihre Rastlosigkeit verursachte Eleonora ein Kribbeln im Nacken wie von Ameisen. »Man könnte ja meinen, was sich liebt, das neckt sich, aber so ist es in diesem Fall nicht. Die beiden bilden eine reine Zweckgemeinschaft, denn … äh …« Sie hielt inne und warf einen flackernden Blick zu Eleonora, während sie ein paar Haarsträhnen unter ihre Haube zurücksteckte.
Eleonora hob eine Braue. »Ja?«
»Nun, es ist so … dass … Also, die Zarin bevorzugt junge Ehepaare und Familien bei der Auswahl derer, die in ihr Land einreisen dürfen.«
Eleonora erstarrte. »Das verrätst du mir erst jetzt? Wir sind beide alleinstehend.«
»Nun
Weitere Kostenlose Bücher