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Weiße Nächte, weites Land

Weiße Nächte, weites Land

Titel: Weiße Nächte, weites Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Sahler
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zur Tür und entriegelte sie. Als hätte es sich dagegengeworfen, fiel ihr das Mädchen in die Arme, es war vielleicht einen halben Kopf kleiner als sie und in Tränen aufgelöst. Die Kleine trug nur ein Kleid, war durch die Winternacht ohne Umhang oder Tuch gelaufen.
    »Um Himmels willen, Helmine … Was ist passiert?« Christine zog die dreizehnjährige Base an sich, hielt sie in den Armen, während Helmine schluchzte und ihre Schultern bebten. Rotz und Tränen liefen ihr über das Gesicht.
    »Psst«, machte Christina und schaukelte die Base ungeduldig, bevor sie sie an den Schultern packte und leicht schüttelte, damit sie zur Besinnung kam.
    Helmine Röhrich brachte kaum einen zusammenhängenden Satz heraus. Zitternd wischte sie sich mit dem Handrücken über Nase und Mund. Ihre Lider waren geschwollen vom Weinen, ihre weißblonden, rattenschwanzdünnen Zöpfe halb aufgelöst. Sie erinnerte Christina an die mageren Hühner mit den spärlichen weißen Federn und den rosa Perlenaugen, die auf dem Röhrich-Hof herumflatterten.
    Kam sie wegen Klara? Christina schickte ein schnelles Gebet zum Himmel, dass die jüngere Schwester nicht der Grund für Helmines Zustand war.
    »Der Vater, Christina …«, brachte Helmine schließlich hervor.
    Christina erstarrte. »Onkel Johann? Was ist mit ihm?«, fragte sie drängend. »Was ist passiert?« Den Arm um Helmines schmale Schulter gelegt, führte sie sie an den Tisch.
    In dem Moment kehrte Eleonora aus der Schlafkammer zurück, nachdem sie Sophia zu Bett gebracht hatte.
    Bei ihrem Anblick brach Helmine erneut in haltloses Weinen aus und warf sich an ihre Brust. Eleonora streichelte ihre dünnen Haare und ihren Rücken und schaute über den Scheitel des Mädchens hinweg ratlos zu Christina, die nur die Schultern zuckte. »Setz dich, trink einen Schluck Wasser und erzähl, was passiert ist!«, murmelte Eleonora tröstend und zog einen Stuhl heran.
    »Er … er ist tot«, presste Helmine schließlich hervor, als sie zusammengesackt auf dem Holzstuhl kauerte, die Finger ineinander verschränkt im Schoß, die Augen rot geädert. »Heute Morgen … es … es war ein Unfall.«
    Die Farbe wich aus Eleonoras Wangen. Christina klappte der Mund auf. Johann Röhrich tot? Am Morgen schon? Das musste gleich passiert sein, nachdem sie ihn verlassen hatte, dachte Christina. »Was ist geschehen?«, hakte sie nach. »Was für ein Unfall, Helmine?«
    »Er … er war wohl auf dem Heuboden unterm Dach der Scheune und muss die Leiter verfehlt haben, als er hinabsteigen wollte. Er … er ist …« Wieder flossen die Tränen in Sturzbächen. »… eine Mistgabel hat seinen Leib durchbohrt.« Sie schlug die Hände vor ihr Gesicht.
    »Oh, Herr im Himmel«, flüsterte Eleonora, bekreuzigte sich und nahm das Mädchen wieder in die Arme. »Wie grauenvoll. Was wird jetzt bloß aus Tante Marliese? Und was aus Alfons …«
    Christina wischte sich Schweiß von den Schläfen. Was für ein grausamer Anblick das gewesen sein musste … »Wer hat ihn gefunden?«
    »Bernhard. Er kam an der Scheune vorbei und sah die Blutlache. Ich … ich habe erst heute Abend davon erfahren, als ich vom Dorfbrunnen heimkehrte.« Sie kniff den Mund zusammen. »Sie hätten nach mir schicken müssen, anstatt mich so lange unwissend zu lassen!«
    »Nichts hätte sich geändert, wenn sie dich vorher gerufen hätten«, sagte Eleonora leise. »Dein Vater war, wie es klingt, auf der Stelle tot. Da hätte niemand mehr helfen können.«
    Ein weiterer Todesfall in der Familie, aber Christina ahnte, dass sich auch die Trauer der Schwester in Grenzen hielt.
    Johann Röhrich war nicht der beliebteste Mann in Waidbach gewesen. Alle wussten, dass er zum Jähzorn neigte und dass er Ehebruch für sein persönliches Vorrecht hielt. Dass sie, Christina, sich Röhrichs Triebhaftigkeit zunutze gemacht hatte, wusste niemand.
    »Mein Beileid, liebste Helmine«, sagte Eleonora mitfühlend und streichelte mit dem Fingerknöchel Helmines Wange, während sich das Mädchen mit der Schürze die farblosen Wimpern tupfte. Allmählich schien sie sich zu beruhigen.
    »Bernhard … hat ein Tuch über Vater gelegt«, begann sie zu erzählen. »Er wollte nicht, dass ich die Verletzungen sehe, aber ich habe trotzdem ein Bild von seinem durchbohrten Leib im Kopf und dem vielen Blut, das aus ihm herausgeflossen sein muss. Warum nur musste es so enden?«
    Die Schwestern ließen sie berichten, ohne etwas zu erwidern. Es schien dem Mädchen gutzutun, den

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