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Weiße Nächte, weites Land

Weiße Nächte, weites Land

Titel: Weiße Nächte, weites Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Sahler
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war.
    Christina empfand tiefe Ehrfurcht vor dieser seltenen Verbindung von großer Schönheit und hoher Majestät. Genau wie die anderen Waidbacher versank sie in einen Knicks, als Katharina II. in der blauen Uniform des Garderegimentes im Schlossgarten von Oranienbaum die Reihen der Kolonisten abschritt.
    Zu gern hätte Christina sie in einer kostbaren Robe aus Seide und Brokat gesehen, aber selbst in der streng geschnittenen, bis über die Oberschenkel reichenden, mit Gold bestickten Uniformjacke, mit den hohen schwarzglänzenden Stiefeln und dem Dreispitz kamen Katharinas unvergleichlicher Zauber und ihre betörende Aura zur Geltung.
    Bei Vorsteher von Kersen verweilte sie ein wenig, fragte nach seinem Vaterland, seinem Gewerbe und ähnlichen Dingen, aber von Kersen presste nur stockend Antworten hervor.
    Christina grinste versteckt – lag nicht von Kersens ganze Hoffnung in dem Wohlwollen der Zarin? War er nicht nur deshalb nach Russland gekommen, um in den Dienst Ihrer Majestät zu treten?
    So tölpelhaft, wie er sich verhielt, sah sie seine Aussichten schwinden. Da – jetzt reichte sie ihm gar die Hand zum Kuss, aber von Kersen schien nicht zu verstehen, was sie von ihm wollte.
    Christina hörte, wie Daniel, der neben ihr stand, einen tiefen Seufzer ausstieß. »Hoffentlich schließt sie von diesem ungehobelten Klotz nicht auf die Manieren ihrer Landsleute«, zischte er erbost und vollführte mit einem gewinnenden Lächeln eine tadellose Verbeugung, als die Zarin nun an ihm vorbeiging. Leider verzichtete sie darauf, sich die Hand von dem Gesellen küssen zu lassen, obwohl Christina darauf gewettet hätte, dass er ihr in diesem Fall mindestens ein anerkennendes Lächeln entlockt hätte.
    Wann immer sich in den nächsten Tagen die Gelegenheit ergab, knüpfte Christina Kontakte zu den wachhabenden Soldaten, ließ hier ein paar Münzen klingen, erfreute da einen jungen Burschen mit einem besonders hinreißenden Lächeln.
    So kategorisch der russische Kommissar die Bestimmungen formuliert hatte, in den Reihen der russischen Soldaten herrschte eine lässigere Geisteshaltung, die mit dem ein oder anderen Entgegenkommen oder einem heißen Versprechen aus glutvollen Augen in Christinas Sinne beeinflusst werden konnte.
    Christina dankte dem Himmel, dass endlich diese Übelkeit nachgelassen hatte. Sie aß seit einigen Tagen wieder mit gesundem Appetit und fühlte sich fast so kräftig und zuversichtlich wie zu Beginn der Reise.
    Abends unter der Armeedecke tastete sie ihren Leib ab. Die sanfte Rundung, die in die Wölbung ihrer Hand passte, ließ unter den weiten Röcken noch keinen Verdacht auf ihre Schwangerschaft aufkommen, und das war ihr nur recht. Am liebsten hätte sie überhaupt keinen Gedanken mehr an diesen Bastard verschwendet, der da in ihr begonnen hatte zu wachsen.

    Es fiel Christina nicht im Traum ein, den Eid auf die russische Krone zu schwören. In der lutherischen Schlosskirche von Oranienbaum sprach der aus dem Thüringischen stammende Pastor in feierlichem Ton den Eidestext in der Muttersprache der Kolonisten vor, den sie zu wiederholen hatten.
    Christina bewegte nur die Lippen, ohne etwas zu sagen. Als sie sich vorsichtig umschaute, erkannte sie, dass sie nicht die Einzige war, die sich den Rückweg nicht versperren wollte, falls das Heimweh übermächtig werden sollte. Noch hatte ihr Russland nicht das geboten, was sie sich erträumt hatte.
    Nach der feierlichen Zeremonie kündigte von Kersen an, dass die Weiterreise für den übernächsten Tag vorgesehen sei. Sie sollten sich bereithalten und den Anweisungen der russischen Soldaten Folge leisten. Jeder war angehalten, auf seinen Nachbarn zu achten und Sorge zu tragen, dass keiner die Abfahrt verpasste.
    Christina lauschte ihm mit vor dem Mieder verschränkten Armen. Du jämmerlicher Zwerg, dachte sie. Was wird nun aus deinen hochtrabenden Plänen, in den Dienst der Zarin zu treten, he?
    Von Kersen ließ sich seine Enttäuschung darüber, dass er genau wie alle anderen dazu bestimmt war, Bauer an der Wolga zu werden, statt in der kaiserlichen Armee zu dienen, nicht anmerken. Aber Christina bemerkte, wie fahl seine Wangen waren, wie müde seine Augen unter den buschigen Brauen blickten. In seine Stimme legte er mehr Autorität als jemals zuvor, aber Christina konnte er nicht täuschen. Er war innerlich gebrochen und würde die Maske des Vorstehers nur so lange tragen, bis sie ihm ein besser Geeigneter vom Gesicht riss.
    In zwei Tagen sollte es

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