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Weiße Nächte, weites Land

Weiße Nächte, weites Land

Titel: Weiße Nächte, weites Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Sahler
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wahrscheinlich ein Modegeschäft oder eine Weberei. Er hat genickt und mir zu verstehen gegeben, dass er seinen Onkel anweisen würde. Wahrscheinlich gibt es so etwas wie ein deutsches Viertel.«
    In diesem Moment bog der Kutscher nach links zu einer Brücke ab, die über einen Arm der Newa führte. Er neigte sich halb zurück, so dass die Schwestern sein bärtiges Profil erkennen konnte. »Wassilij«, murmelte er.
    Christina lächelte den Mann an und nickte, während Eleonora die Hand der Schwester nahm und drückte. Zu beiden Seiten sahen sie nun das träge dahinfließende schwarze Wasser des Flussarms. Dunstwolken flogen über die Wellen und hüllten die Bäume und Büsche am Ufer in ein milchig trübes Licht.
    »Hoffentlich hast du recht und wir treffen Deutsche. Wie sollen wir uns sonst verständigen?«, überlegte Eleonora.
    Christina winkte ab. »Ach, hier leben viele Deutsche – Ärzte, Apotheker, aber auch Geschäftsleute wie unsere Verwandten. Außerdem haben viele Russen deutsche Vorfahren«, behauptete sie. »Sergejs Großvater zum Beispiel war ein deutscher Handwerker, der beim Aufbau von Petersburg mitgeholfen hat. Deswegen kann er ein paar Brocken unserer Sprache.« Sie lächelte die Schwester schelmisch von der Seite an. »Und es gibt jederzeit Mittel und Wege, sich ohne Worte zu verständigen.«
    Sie ruckelten auf ihren Sitzen, als der Kutscher kurz darauf die Pferde zum Stehen brachte.
    Sie befanden sich in einer schmalen Straße, in der mit Mühe zwei Kutschen aneinander vorbeirollen konnten.
    Emaillierte Schilder, deren Ketten in der sanften Brise quietschten, schienen darauf hinzudeuten, dass sich hier Spelunken und Gaststätten aneinanderreihten.
    Eleonora sah sich ängstlich um. »Hier sollen wir aussteigen?«
    »Komm schon!« Christina warf die Decke ab und sprang aus der Droschke. Eleonora folgte ihr.
    Der Kutscher, ein schwergewichtiger Mann mit ledriger Gesichtshaut und struppigen Brauen, wandte sich ihnen zu und nickte. Mit Gesten gab er ihnen zu verstehen, dass er in der neben ihnen liegenden Schenke auf sie warten würde. Eine ausholende Armbewegung wies ihnen in eine bestimmte Richtung den Weg.
    Christina und Eleonora wechselten einen Blick.
    Als sie sich nicht gleich in Bewegung setzten, ging ein breites Grinsen über das Gesicht des Russen. Er klatschte in die Hände und wies ein weiteres Mal in die angegebene Richtung.
    Schließlich schenkte Christina ihm ein Lächeln, ergriff die Hand ihrer Schwester, und sie liefen los. Das rauhe Lachen des Kutschers, das in einen rasselnden Husten überging, folgte ihnen.
    Nur wenige Passanten begegneten ihnen in dieser Gegend. Die Menschen hielten die Gesichter gesenkt und trugen schwere Mäntel und Mützen.
    Vor manchen Gaststätten lungerten Männer herum, tuschelten, als die beiden Frauen eilig vorübergingen, und die unverständlichen Laute der fremden Sprache wehten den Schwestern hinterher.
    Endlich verbreiterten sich die Wege, das Mondlicht erhellte die Winkel. Auf den größeren Straßen rollten vereinzelt Kutschen. Das Klappern der Pferdehufe und das Rattern der Räder hallten von den zart getönten Fassaden wider.
    Christina und Eleonora blieben stehen und sahen an den Fronten hoch. Hinter den meisten Fenstern war es dunkel – die Stadt schlief, nur wenige Nachtschwärmer trieben sich herum. Die Geschäfte in den unteren Etagen lagen im Dunkeln.
    »Selbst wenn wir einen Hinweis finden sollten«, murmelte Eleonora, »wir können die Leute doch nicht aus dem Schlaf klopfen …«
    »Das ist die geringste Sorge«, gab Christina zurück. »Ich hätte bestimmt keine Skrupel, sie zu wecken. Es geht um unser Leben, Eleonora. Das hast du immer noch nicht begriffen …«
    »Dein Plan stimmt vorne und hinten nicht«, gab Eleonora wütend zurück. »Um diese Uhrzeit finden wir keinen Menschen, der uns Auskunft geben kann. Schon gar nicht einen Deutschen.«
    Da packte Christina ihren Arm und wies auf die gegenüberliegende Straßenseite. Ein älterer Herr in einem modisch geschnittenen Mantel aus schwarzer Wolle schloss mit einem Schlüssel an einem klimpernden Bund die Tür eines Ladens sorgfältig ab. Die Schriftzeichen darüber konnten sie nicht entziffern, aber die Auslage wies darauf hin, dass es sich um ein Uhrmachergeschäft handelte.
    Der Mann trug eine Zeitung unter dem Arm. Als sie die Straße überquert hatten und sich ihm näherten, erkannten die beiden, dass es eine deutsche Zeitung war.
    Mit fünf schnellen Schritten eilte

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