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Weiße Nächte, weites Land

Weiße Nächte, weites Land

Titel: Weiße Nächte, weites Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Sahler
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also losgehen. Höchste Zeit, ihren raffiniert ausgetüftelten Plan in die Tat umzusetzen.
    In dieser Nacht sollte es geschehen.
    In dieser Nacht würde sie ihrem Traum, in Russland das Lebensglück zu finden, ein gutes Stück näher kommen.
    Sie musste nur warten, bis alle in der Kaserne schliefen und bis Sergej, der Soldat, der sich am empfänglichsten für ihre Reize gezeigt hatte, seinen Dienst antrat.
    Und dann musste sie ihre Schwester einweihen.
    Eleonora ahnte nichts, aber Christina war überzeugt, dass sie sich ihr nach dem unvermeidlichen Zögern vertrauensvoll anschließen würde. Schließlich ging es nicht nur um ihre eigene Zukunft, sondern auch um das Glück ihrer geliebten Tochter. Wer mochte sich vorstellen, dass sich Eleonora wünschte, Sophia könnte als Ackerbäuerin enden?

16. Kapitel
    Sankt Petersburg
    D a schau!« Christina wies mit dem Zeigefinger nach vorn. In der Ferne tauchten am silbernen Horizont die vergoldeten Zwiebeltürme der Petersburger Kirchen auf.
    Sie steckte die Decke um die Beine und lächelte still vor sich hin, während der stiernackige Kutscher die beiden Pferde, die die Droschke zogen, schnalzend antrieb. Es konnte nicht mehr lange dauern.
    Eleonora, dicht neben ihr, zog die grobe Decke höher. Das Lächeln ihrer Schwester fand keine Erwiderung in ihrer Miene.
    Christina tätschelte ihr Bein. »Sorg dich nicht, Eleonora! Vertrau mir!«
    »Das tue ich«, erwiderte Eleonora. »Hätte ich sonst mein Kind zurückgelassen und säße hier mit dir?«
    »Sophia schläft selig in Klaras Armen. Die wird gar nicht merken, dass du einen Ausflug unternimmst.«
    »Dein Wort in Gottes Ohr«, murmelte Eleonora.
    Eine Stunde vor Mitternacht hatte Christina ihre Schwester im Kasernenlager geweckt. Eleonora hatte sich verschlafen aufgerichtet und sich bemüht, den hastig hervorsprudelnden Worten ihrer Schwester zu folgen. Sie habe eine Kutsche für sie beide bestellt, die sie nun nach Petersburg bringen würde, wo sie ihre Verwandten treffen würden.
    »Was wollen wir ihnen sagen?«, hatte Eleonora erwidert.
    »Na, dass sie sich um uns kümmern sollen! Immerhin sind wir Blutsverwandte. Sie werden doch nicht zulassen, dass wir uns monatelang durch dieses Land quälen, oder?«
    »Sie kennen uns gar nicht. Was kratzt diese Leute unsere Not?«
    »Das lass meine Sorge sein. Sie werden einsehen, dass es ihre Pflicht ist, uns hier zu unterstützen.«
    »Wie heißen sie überhaupt? Und wovon leben sie in Sankt Petersburg?«
    Christinas Wangen hatten sich mit einer heißen Röte überzogen, was Eleonoras Misstrauen erneut weckte.
    »Weber heißen sie natürlich, wie wir. Was sie machen, werden sie uns selbst erzählen.«
    Am Ende hatte Eleonora – wie so oft – nachgegeben.
    Christina hatte ihr erklärt, dass sie etwa zwei Stunden auf dem Weg am Wasser entlang unterwegs sein würden und dass der Kutscher, ein Onkel des Soldaten, der Christinas Charme verfallen war, sie mitten ins Zentrum der Stadt bringen würde, wo sie sich umhören und Erkundigungen einziehen konnten. Dafür hätten sie drei oder vier Stunden Zeit, und wenn sie zurückfuhren, wären sie noch vor dem Wachwerden wieder bei ihren Lieben, um ihnen die freudige Nachricht zu überbringen, dass sie ein neues Zuhause gefunden hatten.
    Eleonora war keineswegs davon überzeugt, dass Christinas Plan aufging. Und ob Christina tatsächlich so sicher war, wie sie sich gab?
    Wo sollten sie anfangen zu fragen? Wen würden sie zu diesen nächtlichen Stunden in der großen Stadt antreffen? Wie würden die Verwandten reagieren, wenn plötzlich zwei verarmte Schwestern aus dem fernen Hessen vor ihnen standen und um Hilfe bettelten?
    Dennoch hatte Eleonora sich durchgerungen, Christina zu begleiten – zum einen, weil es sie selbst reizte, die berühmte Stadt zu sehen, die Peter der Große am sumpfigen Ufer der Newa als Tor zum Westen hatte errichten lassen und in der die bewunderte Zarin residierte; zum anderen, weil sie befürchtete, dass Christina notfalls ohne sie diesen Weg gehen würde.
    Zu zweit erschien ihr der nächtliche Streifzug eine Spur weniger riskant. Sie hatte sich den neu erworbenen schmucklosen Sarafan und den Umhang mit der weiten Kapuze übergeworfen und war der Schwester gebückt wie eine Diebin gefolgt.
    Die zweispännige Droschke hatte vor dem Tor der Kaserne gewartet. Der Kutscher mit der Fellmütze über den Ohren sprach kein Wort, wies nur auf die Decken, die sie sich um die Beine wickelten, und trieb die beiden Pferde

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