Weiße Nana / Mein Leben für Afrika
besonders abschüssigen Stelle war das Erdreich schon wieder abgerutscht, und das Bohrfahrzeug neigte sich gefährlich in Richtung See. Es geriet in eine derartige Schieflage, dass der zuständige Fahrzeugführer sagte, er fahre keinen Zentimeter weiter, er könne das Risiko nicht eingehen, dass die gesamte Maschine in den See stürze.
Da eilte das ganze Dorf hinzu, um das Fahrzeug mit langen Stangen abzustützen – ich bin im Nachhinein froh, dass ich das nicht mit ansehen musste. Wahrscheinlich hätte ich die ganze Aktion abgeblasen, denn das Risiko, dass Menschen unter dem umstürzenden Fahrzeug begraben würden, wäre mir viel zu hoch gewesen. Doch die Seebewohner waren entschlossen, alles dafür zu tun, dass ihre Arbeit nicht umsonst war, und irgendwie gelang es dann doch, die Fahrzeuge heil nach Apewu zu bringen.
Schon als ich von Morontuo die Kraterwand hinunter zum Dorf stieg, hörte ich in der Ferne das Geräusch des Bohrers. Und obwohl ich es ja wusste und schließlich selbst dafür gesorgt hatte, konnte ich meinen Augen kaum trauen: Diese gigantischen Maschinen in unserem abgelegenen und plötzlich winzig erscheinenden Dorf, in das man ja schließlich nur zu Fuß gelangen konnte, kamen mir vor wie eine Erscheinung. Im Nu war die Baustelle zum Treffpunkt der umliegenden Dörfer geworden. Jeder, der sich auch nur irgendwie fortbewegen konnte, fand sich um den Bauplatz herum ein. Besonders die Kinder waren außer sich vor Begeisterung und mussten immer wieder hinter die Absperrung zurückgejagt werden.
Auch in diesem Fall hatte das Dorf für die Entscheidung, wo genau der Brunnen gebohrt werden sollte, zahlreiche Versammlungen abgehalten. Denn bei einem Brunnen, von dessen Vorteilen gegenüber der alten Wasserstelle viele Einwohner ja erst überzeugt werden mussten, ist es noch viel wichtiger als bei anderen Projekten, dass er an der für die Bewohner »richtigen« Stelle entsteht. Ein paar Meter zu weit, und die Frauen, die in Ghana traditionell für das Wasserholen zuständig sind, gehen lieber wieder zum Bach.
Aus diesem Grund war Kofi schon Wochen vorher da gewesen und hatte mehr als dreißig Stellen markiert, an denen ein Brunnen gebohrt werden könnte. Danach wurde so lange debattiert, bis sich die Einwohner auf eine Stelle geeinigt hatten. Hier wühlte sich jetzt der Bohrer in die Erde – ein unfassbarer Anblick für mich.
Nun traf ich also zum ersten Mal Kofi persönlich. Und ganz ähnlich wie bei Emmanuel war es Freundschaft auf den ersten Blick. Wir sahen uns an und wussten, dass wir aus ähnlichem Holz geschnitzt waren. Schließlich hatten alle gesagt, es sei unmöglich. Und dieser Mann, der uns überhaupt nicht kannte, der noch nie zuvor von diesem Dorf namens Apewu gehört hatte, der scheute kein Risiko, um uns zu helfen. Er tat es einfach, und das ist es, was ich an Menschen unter anderem am meisten schätze: Wenn sie tun, was notwendig ist, ohne Bedenken vor sich herzutragen, »Wenn« und »Aber« vorzubringen und am Ende die Hände in den Schoß zu legen, »weil man ja leider nichts tun kann«. Man kann immer etwas tun, wenn man nur will. Und Kofi sah das genauso.
Da saß ich also in Afrika unter einem Baum und sah zu, wie sich der Bohrer in den sandigen Erdboden grub, und dachte an all diejenigen, die mir in Deutschland ihr mühsam verdientes Geld für unsere Projekte anvertraut hatten, und wünschte mir, sie alle könnten dabei sein.
In sechzig Meter Tiefe stießen Kofis Mitarbeiter auf Wasser. Alle jubelten wie aus einem Munde. Auch das ist etwas, was ich an Afrika so liebe: dass sich die Menschen noch richtig freuen können. Die Freude bringt sie auf ihre Beine und lässt sie herumtanzen, sie werfen die Arme in die Luft und singen vor Begeisterung. Und das tat nun das gesamte Dorf.
Doch noch waren wir nicht ganz am Ziel. Denn ist er einmal auf Wasser gestoßen, muss der Bohrer vorsichtig aus dem Loch gezogen werden, und Rohre aus PVC werden eingeführt als Ummantelung des späteren Brunnenloches. Danach kommt der Tankwagen zum Einsatz, denn nun wird das Bohrloch gründlich durchgespült, damit es frei von allen Sedimenten wird. Und genau da passierte es: Beim Einbringen der PVC -Rohre kollabierte unten das Loch wieder – der Boden war zu sandig.
O Gott, dachte ich, das kann nicht wahr sein, was haben wir nicht alles angestellt, um so weit zu kommen, und jetzt stellt sich raus, dass der Untergrund nicht geeignet ist für einen Brunnen? Das darf einfach nicht wahr sein.
Es
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