Weiße Nana / Mein Leben für Afrika
ganz besonders: Die Kinder der Dörfer verfassen anlässlich der Dabas Gedichte, die sie bei dieser Gelegenheit vortragen. Das dauert zwar Stunden, bis jeder dieser Zwerge an der Reihe war, aber ich liebe es, wenn sie anfangen mit: »My name is …, the title of my poem is: …«, und dann ihr Gedicht aufsagen.
Ich finde, eine Kultur, bei der es Brauch ist, dass als Höhepunkt von Versammlungen Kinder eigene Verse vortragen, ist eine höchst poetische. Natürlich muss man bei diesen Anlässen stundenlang in brütender Hitze aushalten, mitunter ist es auch so heiß, dass mir schwindlig wird, doch da muss ich als Nana einfach durch.
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18. Einweihungszeremonie in Morontuo
Eine Geschichte, die mir sehr zu Herzen ging und über die ich heute noch weinen könnte vor Trauer und Zorn, ist die eines Enkels von unserem Chief Odikro von Apewu. Wir nannten ihn Little Sven nach meinem damaligen Freund, der mich nach Apewu begleitet hatte und der für diesen kleinen Jungen eine Patenschaft übernahm.
Der Junge war wie sein Zwillingsbruder bei der Geburt vollkommen gesund gewesen. Als Kleinkind erkrankte Little Sven und behielt einen Herzklappenfehler zurück. Wahrscheinlich war die Ursache eine verschleppte Grippe, es gibt bestimmte Bakterien, die bei Kleinkindern aufs Herz schlagen können.
Sein Vater brachte ihn nach Kumasi in ein Krankenhaus, aber dort konnten sie ihm nicht helfen. So kam der Kleine zu seinem Großvater nach Apewu. Unser Chief erwähnte gegenüber Emmanuel bei einem seiner Besuche, dass sein Enkel krank sei, aber da eigentlich immer irgendjemand im Dorf »sick« ist, ging Emmanuel nicht gleich darauf ein. Erst als er Tage später durch den Wohnbereich des Chiefs ging und dabei zufällig den Fünfjährigen sah, der halbtot auf dem Arm seines Vaters hing, wurde ihm klar, dass es sich hier um etwas Ernstes handeln musste. Er rief mich sofort, und ich untersuchte das Kind. Es war völlig apathisch und nicht mehr ansprechbar, ganz ausgetrocknet und atmete nur noch reflexartig.
»Meine Güte«, dachte ich, »warum hat mir das nie jemand gesagt? Jetzt sind wir doch hier, um zu helfen, und keiner zeigt mir dieses todkranke Kind!«
Auch bei unserer Nachbarin im Compound war es ganz ähnlich gewesen. Jahrelang lag sie in ihrem Zimmer, und keiner erzählte mir etwas davon. Offenbar haben sich die Menschen derart an diese unabänderlichen Schicksale gewöhnt, dass sie gar nicht mehr auf die Idee kommen, man könnte da helfen.
Ich sah sofort, dass der Junge eine Spezialklinik brauchte, und schickte ihn mit seinem Vater und Onkel, dem Dorflehrer Anthony, und einer
Referal Note,
einer Art Arztbrief, nach Accra ins Korle Bu Teaching Hospital. Dort behielten sie ihn viele Wochen lang, und nachdem sie ihn gründlich untersucht hatten, sagten die Ärzte, dass man ihm eine künstliche Herzklappe einsetzen könnte, wenn er etwas größer sei.
Dieser Eingriff kostete natürlich eine Menge Geld und es war alles andere als einfach, die nötigen Mittel zusammenzukriegen. Nach rund vier Jahren hatten wir die Ghana Heart Foundation endlich so weit, die Hälfte zu übernehmen, den Rest konnte ich durch Spenden decken. Vier Jahre lebte der Junge also mit Medikamenten und musste immer wieder zu Kontrolluntersuchungen nach Accra ins Korle-Bu-Krankenhaus. Dann hatten wir bereits einen Operationstermin für den kleinen Jungen, doch leider war er zu schwach, um ihn zu erleben: Zwei Wochen vor dem festgesetzten Termin starb Little Sven.
Für mich war das ein fürchterlicher Schlag. Es zeigte mir, dass wir immer noch nicht genug tun, noch nicht schnell genug sind.
Das ganze Dorf nahm an diesem Trauerfall besonderen Anteil. Und als wir in Apewu den Kindergarten eröffneten, dann taten wir das »Im Gedenken an Little Sven«. Damit wir immer daran denken, wie zerbrechlich unser Leben ist und vor allem das unserer Kinder. Ein nicht ausgeheilter Grippeinfekt kann hier bereits zum Tod führen.
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19. Im Gedenken an unseren kleinen Freund Little Sven
Ein weiteres Problem, das mich von Anfang an beschäftigte, war die miserable Situation der Schule in Apewu. Sie befand sich in einem baufälligen Haus mit drei Räumen, an dessen Wänden aus einem Lehm-Zement-Gemisch der Zahn der Zeit bereits sehr genagt hatte. Für eine Schule war das Gebäude ohnehin viel zu klein – und darüber hinaus war es in einem furchtbaren Zustand. Als ich mitbekam, wie oft der Unterricht allein wegen des Wetters ausfallen
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