Weiße Nana / Mein Leben für Afrika
mit den Behörden zu tun haben. Sie leben so weitab von allen anderen, und so soll es ihrer Meinung nach auch bleiben. Keiner kommt dort jemals hin und wenn, dann kehrt er manchmal nicht zurück.«
»Was genau machen die Menschen mit den Kindern?«, wollte ich wissen.
»Sie müssen den Fischern bei der Arbeit helfen. Dabei machen sie dasselbe wie die Erwachsenen: Sie rudern die Boote hinaus auf den See. Sie reparieren die Netze. Wenn die sich unter Wasser verfangen haben, müssen die Kinder hinuntertauchen und die Gewebe wieder befreien. Oft können sie aber gar nicht schwimmen. Die kleineren Kinder bekommen es von den größeren gezeigt. Wenn die Netze voll sind, müssen die Kinder sie einholen. Und manchmal, wenn ein guter Fang ausbleibt, dann stechen die Fischer die Kinder mit den Messern, und lassen das Blut ins Wasser laufen. Denn das lockt die Fische an, und ob es stimmt oder nicht, die Fischer glauben daran.«
»Und das machen sie auf diesen Inseln?«
Joycelyn lachte traurig auf.
»Das machen die Fischer alle hier am Voltasee. Je weiter entfernt das Dorf von einer großen Stadt liegt, desto ungestörter. Denn selbstverständlich ist Kinderarbeit in Ghana verboten. Die Leute wissen das. Sie wissen genau, dass es unrecht ist, was sie tun. Sonst würden sie mir nicht so feindselig begegnen.«
Danach zeigte uns Joycelyn ihre Filmaufnahmen. Auch wenn die Qualität nicht die beste war, weil sie aus großer Entfernung filmen musste, so war doch deutlich zu erkennen, worauf es ihr ankam. Ich sah zwei Jungen von vielleicht vier oder fünf Jahren, die, jeder die kleinen Hände fest um ein Paddel geklammert, mit aller Kraft gemeinsam ein Fischerboot mitsamt Fischer und Netzen auf den See hinausruderten. Ich sah ein fünfjähriges Mädchen, das sich mit schweren Netzen abschleppte. Ich sah weit entfernt auf dem See Kinder, die ins Wasser sprangen und untertauchten, und man konnte sehen, dass sie es nicht zum Spaß taten. Und ich sah einen vielleicht sieben jährigen Jungen, der von einem Fischer brutal geschlagen wurde.
»Wie hast du diese Filme denn gemacht?«, wollte ich wissen. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass die begeistert davon waren.«
»Waren sie auch nicht«, entgegnete Joyce ruhig. »Ich hab mich im Gebüsch versteckt. Bin manchmal stundenlang am Seeufer geblieben und hab mich nicht gerührt. Ich habe sogar einmal aufgenommen, wie ein Fischer einen Jungen mit dem Messer sticht, aber seltsamerweise ist dieses Band später verschwunden.«
»Verschwunden?«
Ich sah Joycelyn mit neuen Augen. Eine Joycelyn, die sich mit ihrer Videokamera im Ufergestrüpp versteckt, passte so gar nicht zu dieser eleganten Afrikanerin, die ich immer nur in wunderschöne Gewänder gehüllt, elegant frisiert und mit passendem Make-up kennengelernt hatte.
»Ja«, sagte sie. »Ich habe das Videoband bei einer Behörde eingereicht, von der ich mir Unterstützung erhoffte. Und auf einmal war es spurlos verschwunden.«
Wir sahen uns vielsagend an.
»Und das tun die Leute ihren eigenen Kindern an?«, fragte ich, immer noch fassungslos.
»Ihren eigenen, ja, auch«, erklärte Joycelyn, »aber sobald sie es sich leisten können, kaufen sie sich fremde Kinder.«
»Sie kaufen Kinder?«
»Ja«, sagt Joycelyn traurig, »das tun sie. Hier geht es um Menschenhandel
und
Kinderarbeit.«
»Wer verkauft sein Kind an solche Menschen?!«
»Nun, es gibt leider genügend arme Familien mit zu vielen Kindern, die auf diese Weise einen Esser weniger haben und dafür noch etwas Geld bekommen.«
Ich war sprachlos vor Entsetzen. Ich wandte mich an Emmanuel.
»Hast du davon gewusst?«, wollte ich wissen.
Emmanuel nickte.
»Weißt du, Bettina«, fuhr Joycelyn fort, »das machen die schon seit Generationen so. Darum ist es ja auch so schwierig, etwas dagegen zu unternehmen. Ich habe mir die Finger wund geschrieben an diesem Projekt. Und bislang niemanden gefunden, der mich unterstützen möchte. Alle sagen: Jaja, das ist ein großes Problem. Aber leider kann man gar nichts machen.«
»Das gibt’s doch gar nicht!«, rief ich, außer mir vor Zorn. »Das können die doch nicht vor aller Augen tun.«
»Da will sich keiner einmischen«, sagte Emmanuel, »das ist allen zu gefährlich.«
»Wieso gefährlich? Diese Menschen misshandeln wehrlose kleine Kinder. Aber Erwachsene müssen doch dagegen einschreiten.«
»Das würde ich gerne«, sagte Joycelyn. »Aber allein kann ich nichts ausrichten. Ich brauche jemanden, der das mit mir gemeinsam
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