Weiße Nana / Mein Leben für Afrika
diese Dörfer Zufluchtsstätten von Menschen aus verschiedenen Gegenden, die ihre Heimat aus irgendeinem Grund verlassen mussten. Diese Leute hatten bislang keine guten Erfahrungen mit den Behörden gemacht, sei es durch ihr eigenes Verschulden oder auch nicht.
Bei meinen Besuchen in den Dörfern sah ich ganz genau hin. Mein Fokus war, anders als Joycelyns, nicht nur auf die Kinder gerichtet, sondern mein inzwischen geübter Blick erfasste gleich, wie es hier mit der Hygiene, der medizinischen Versorgung und mit dem Schulwesen stand. In allen Punkten sah es miserabel aus. Meist holten die Menschen ihr Wasser aus dem See, und da das gesamte Abwasser, vor allem die Fäkalien, in ihn hineinströmten, war seine Wasserqualität eher zweifelhaft. Ich konnte auch entsprechende Anzeichen von Erkrankungen bei den Einwohnern ausmachen: Wurmbefall in den Augen, aufgeblähte Bäuche und fahle Gesichter.
Ich sprach mit den Ältesten. Sie sagten, sie kämen zurecht. Sie bräuchten keine Fremden. Von denen sei noch nie etwas Gutes gekommen.
Nun war wieder einmal Emmanuel gefragt. Schließlich kam er aus der Gegend, konnte sich mit ihnen unterhalten. Er fuhr immer wieder hin, bis es ihm gelang, langsam, aber sicher das Vertrauen von ein paar wenigen zu erlangen.
Inzwischen machte ich meine üblichen »Behördengänge« in Accra und in der Provinzhauptstadt. Dabei erging es mir genauso wie Joycelyn. Alle kannten das Problem, alle zuckten die Schultern.
»Das ist so ein Filz in diesen abgelegenen Dörfern«, bekam ich zu hören, »da kann man wirklich nichts tun.«
Ich erklärte wiederholt, dass ich etwas tun würde, dass ich nicht tatenlos zuzusehen gedachte, wie vor unserer aller Augen Verbrechen an diesen Kindern begangen würden.
»Ja, aber«, wollte man bei einer wichtigen Behörde wissen, »was haben Sie denn vor?«
»Ich will versuchen, mit diesen Fischern ins Gespräch zu kommen. Ihnen etwas anzubieten, damit sie in der Lage sind, die Kinder freizulassen.«
»Ist Ihnen eigentlich klar, dass Sie sich damit selbst strafbar machen?«
Da musste ich erst einmal schlucken. Und tief durchatmen.
»Okay«, sagte ich dann ganz ruhig. »Ich verstehe Ihren Gedankengang. Aber Sie sind hier in Afrika. Wollen Sie sich das anschauen und irgendwann wieder heimfahren und gar nichts getan haben? Können Sie damit leben?«
Langsam, aber sicher wurde ich wütend. Es fällt mir immer schwerer zu ertragen, wie die Menschen in der Hauptstadt in Sicherheit und Wohlstand leben, die Hände in den Schoß legen und mit den Schultern zucken. Und jetzt wollte man mir auch noch klarmachen, ich würde mich strafbar machen, wenn ich helfen wollte? Das war ja wohl die Höhe.
»Diese Menschen brechen das Gesetz. Wenn Sie mit denen in Verhandlung treten, tun Sie das auch.«
»Und was ist die Alternative? Wollen Sie hingehen und alle verhaften?«
»Das ist nicht meine Aufgabe.«
»Dann ziehen Sie es also vor zuzusehen, wie kleine Kinder versklavt werden?«
Es war klar, mit diesen Leuten kam ich nicht weiter.
Joycelyn hatte es selbst bereits erlebt. Ich kann gar nicht sagen, wie weh mir das tut, wenn ich sehe, dass sich eine hochqualifizierte Einheimische wie sie bereits an die richtigen Stellen gewendet hat und von allen abgelehnt wurde. Eine große, internationale Hilfsorganisation speziell für Kinder – ich mag ihren Namen nicht nennen – hatte sie wieder nach Hause geschickt, da könnten sie leider nichts tun. Wer Brunnen bohrt, Schulen renoviert und Krankenhäuser baut, der erntet Lob und Beifall – vor allem, wenn die Projekte gelingen, und zwar so kostengünstig, wie es bei uns die Regel ist. Sich aber mit Menschenhändlern anzulegen, davon rieten mir alle ab.
»Diese Menschen sind gefährlich«, warnte mich ein wohlmeinender Beamter, mit dem ich immer gut ausgekommen war. »Ich möchte nicht, dass Ihnen etwas zustößt.«
»Das möchte ich auch nicht«, gab ich zur Antwort. »Aber diesen Kindern dort stößt täglich jede Menge zu. Ich bin erwachsen und für mich selbst verantwortlich. Jemand muss diesen Kindern helfen. Und wenn es sonst niemand tut, dann eben ich.«
Diese Menschen wussten noch nicht, dass der Satz »Das ist unmöglich« für mich nicht existiert. Das Schicksal dieser Kinder ließ mich nicht mehr los, ich musste einfach etwas unternehmen. Schließlich war ich nicht allein: Emmanuel stand wie immer hinter mir. Und Joycelyn war eine Verbündete im Kampf gegen die Sklavenhalter.
Ich hatte es ihr schon ganz am
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