Weiße Nebel der Begierde
Stimmung.
»’s ist Zeit fürs Dinner«, sagte er und warf einen Seitenblick auf Juliana, die mit der Puppe im Arm neben Eleanor saß.
Eleanor stieß den Atem aus und nickte ihm zu. »Danke, Fergus.«
Sie wartete, bis er weg war, dann wandte sie sich wieder dem Kind zu, aber die kostbare Gelegenheit war verflogen. Juliana war wieder in sich gekehrt und sah mit traurigem Blick aus dem Fenster.
Eleanor wollte sie nicht drängen und stand auf.
»Wie es scheint, werden wir unten erwartet, Juliana. Ich bin nicht sicher, ob ich den Weg allein finde. Würdest du mir zeigen, wie man ins Speisezimmer kommt?«
Juliana starrte sie nur an. Aber nach einer Weile erhob sie sich und ging zur Tür.
Eleanor folgte ihr durch Korridore, Treppenhäuser und Türme, und man hörte nur das Rascheln ihrer Röcke und den Regen, der in den Hof prasselte. Sie zermarterte sich das Gehirn nach etwas, was sie sagen könnte, nach einem magischen Wort, das die Mauer des Schweigens durchbrechen und das bekümmerte kleine Mädchen erreichen könnte, aber dann entschied sie, Juliana ihren eigenen Gedanken zu überlassen. Sie waren sich gerade erst zum ersten Mal begegnet und Juliana musste sich an diese neue Veränderung in ihrem Leben gewöhnen. Sie hatten noch viel Zeit, sich näher kennen zu lernen.
Der Regen brachte früh die Dunkelheit der Nacht mit sich, und Eleanor hatte eine Kerze mitgenommen, damit sie den Weg beleuchten konnte. Das kleine Flämmchen tanzte, flackerte und warf silbrige Schatten auf die wunderschönen gewebten Wandteppiche.
Als Eleanor und Juliana in den Speisesaal kamen, saß Lord Dunevin bereits an dem langen Eichenholztisch. Der Raum war groß und erlesen eingerichtet, aber nicht das im Kerzenschein funkelnde Silber oder der mit wundervollen Ornamenten versehene Marmorkamin fesselte Eleanors Aufmerksamkeit. Eleanor erkannte auf den ersten Blick, dass der Tisch nur für zwei Personen gedeckt war.
»Guten Abend, Mylord«, grüßte Eleanor munter und neigte den Kopf. »Ich bitte um Vergebung für meine Verspätung. Juliana und ich haben gerade Bekanntschaft im Schulzimmer geschlossen und ich habe die Zeit ganz vergessen.«
Der Viscount sah von seinem mit Burgunder gefüllten Weinglas auf. »Meine Tochter nimmt die Mahlzeiten nicht hier im Speisezimmer ein, Miss Harte.«
Die scharfen Worte verbreiteten unvermittelt Kälte in dem Raum, die selbst das hell lodernde Feuer nicht vertreiben konnte. Eleanor sah vom
Viscount zu Juliana, die neben ihr stand. Die Kleine hielt den Kopf gesenkt, als hätte man sie wegen einer Missetat ausgescholten. Nach einem Augenblick des absoluten Schweigens drehte sie sich zur Tür um, aber Eleanor legte eine Hand auf ihre Schulter und hielt sie zurück.
»In der Tat, Mylord«, sagte sie in freundlichem Ton. »Darf ich fragen, wo Juliana dann zu speisen pflegt?«
Der Viscount runzelte die Stirn. »Sie isst in ihrem Zimmer.«
Eleanor war nicht überrascht über diese Erklärung; sehr viele Aristokraten lebten strikt getrennt von ihren Kindern und sahen sie nur zu bestimmten Zeiten oder bei besonderen Gelegenheiten; ansonsten überließen sie sie der Obhut anderer. Aber da Juliana in dieser Abgeschiedenheit lebte und zudem noch stumm war, würde Eleanor es für besser halten, wenn sie sich nicht so viel selbst überlassen bliebe.
»Mylord, ich bitte um Verzeihung, aber abgesehen von der Tatsache, dass die Mahlzeiten, wenn sie den ganzen Weg hinaufgebracht werden müssen, vermutlich ziemlich gekühlt sind, wie können Sie jemals sicher sein, dass sie die angemessene Ernährung bekommt?«
»Meine Bediensteten kümmern sich darum.«
Diese Gleichgültigkeit rief Eleanors Unmut hervor. »Mit allem gebührenden Respekt, Sir, ich kenne Haushalte, in denen die Diener das Fleisch und die Süßspeisen für sich behalten und den Kindern nur Haferschleim servieren. Halten Sie das für richtig?«
Der Blick, mit dem der Viscount sie bedachte, verriet ihr, dass er nicht duldete, wenn seine Entscheidungen in Frage gestellt wurden, besonders nicht von jemandem, der erst seit so kurzer Zeit in seinen Diensten stand. Aber Eleanor hielt dem Blick seiner schwarz-grauen Augen stand.
»Meine Diener, Miss Harte, haben sich im Laufe der Jahre in meinem Haus als ausgesprochen loyal erwiesen. Und diese Loyalität erstreckt sich auch auf Familienmitglieder. Muss ich Sie daran erinnern, dass Sie ab heute auch zu der Dienerschaft zählen, die Sie soeben grundlos beschuldigt haben?«
Falls er sie damit
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