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Weiße Nebel der Begierde

Titel: Weiße Nebel der Begierde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaclyn Reding
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beobachteten sie, während sie mit im Schoß gefalteten Händen, die in Spitzenhandschuhen steckten, in dem stillen Arbeitszimmer saß. Egal, wohin sie schaute und wie sehr sie ihnen ausweichen wollte, sie waren da. Wenn sie die Augen schloss, konnte sie sie beinahe hören; ihre dünnen Stimmchen flüsterten mit dem Wind, der über die Insel strich -
    Lauf ...
    Verlass sofort dieses Haus ...
    Bevor es zu spät ist...
    Eleanor riss die Augen wieder auf.
    Eine ganze Reihe von präparierten Hirsch- und
    Rehköpfen, ausgestopften Wildkatzen und Baummardern hingen an den rohen grauen Steinwänden, die mindestens sechs Meter hoch waren. Ein gefährlich aussehender Claymore, ein zweihändiges Langschwert mit schartiger Klinge, das zweifelsohne etliche der Köpfe abgeschlagen hatte, hing neben einem Dolch, mit dem man einen Ochsen ausweiden könnte.
    Lieber Gott, dachte sie, was, um alles in der Welt, habe ich getan?
    Eleanor saß kerzengerade und mit fest zusammengepressten Knien da und überlegte nicht zum ersten Mal, was sie dazu getrieben hatte, hierher zu kommen.
    Vielleicht hätte sie auf die Warnungen von Mrs Maclver, der Wirtsfrau in Oban, hören sollen. Sie hatte Eleanor eindringlich geraten, nicht die Sicherheit des schottischen Festlandes zu verlassen und auf keinen Fall auf die weit entfernte, in Nebel gehüllte Insel Trelay zu fahren.
    Es ist der Ort, an dem die verlorenen Seelen spuken, das Haus des Finsteren Viscount. Lord Dunevin -oder, wie Mrs Maclver sagte - der Teufel von Dunevin Castle.
    »Er ist der Letzte der MacFeagh, und mögen sie mit ihm aussterben«, hatte ihr die Frau mit geheimnisvoll leiser Stimme anvertraut, als würde sie allen Ernstes fürchten, dass der Mann sie auf der fernen Insel hören könnte. »Ein Clan, dessen Mitglieder seit Generationen unnatürliche Tode sterben, und hartnäckige Gerüchte besagen, dass sie seltsame Gottheiten verehren. Man sagt, die Leute hätten mystische Kräfte. Sie stammen von einem Seehundweibchen ab, ja. Der Name, MacFeagh, hat seine Wurzeln in dem gälischen Mac-Dhuibh-shith, Sohn der bösen Fee.«
    Als wollte die Natur den unheilvollen Warnungen der Frau mehr Nachdruck verleihen, hüllte, gerade als die Insel in Sicht kam, plötzlich dichter weißer Nebel das kleine Segelboot ein, das Eleanor nach Trelay brachte. Der Gedanke an Charons mythischen Nachen, der sich den Toren des Hades nähert, kam Eleanor so unvermittelt in den Sinn, dass sie fast erwartete, Zerberus mit den drei fürchterlichen Köpfen und dem schlangenartigen Schweif als Wächter an der öden Felsenküste zu sehen.
    Selbst der Bootsmann, den Eleanor mit ihrem letzten Geld angeheuert hatte, damit er sie über das bewegte Wasser der Firth of Lorne brachte, hatte den Kopf geschüttelt, als sie von Bord ging. Er runzelte bekümmert die Stirn, als wäre er davon überzeugt, dass nie wieder jemand etwas von ihr hören würde, sobald sie einen Fuß auf die Insel setzte.
    »Passen Sie gut auf sich auf, Mädchen«, sagte er, und sein Blick verriet, dass er sie damit nicht nur zur Vorsicht beim Aussteigen gemahnte.
    Aber es war allgemein bekannt, dass die Highlander furchtbar abergläubisch waren, und Lady Eleanor Wycliffe war es keineswegs.
    Selbst jetzt noch, während sie in dem zugigen, uralten Gemäuer saß, redete sich Eleanor ein, dass der Raum in Wirklichkeit gar nicht aussah wie die Hölle des Satans. Und sie entdeckte in der Tat keinen Dreizack oder Qualm vom Höllenfeu-er. Bücher standen ordentlich in den hohen Wandregalen, ein abgenutzter Teppich lag auf dem Steinboden, ein großer alter Schreibtisch, auf dem sich Papiere türmten, stand in einer Ecke.
    In dem gemauerten Kamin hinter ihr loderte ein wärmendes Feuer. Die Luft roch nicht nach Schwefel, sondern nur nach Salz, Moder und Alter. Und man nahm auch den erdigen Geruch nach Torf wahr, den die Menschen im Moor trockneten, um Brennmaterial für den Winter zu haben. Der Wind heulte nicht so grausam wie in der Unterwelt, sondern pfiff nur leise durch die Zinnen des großen Turmes und strich durch das schmale offene Fenster, um spielerisch an den karierten Vorhängen zu zupfen.
    Genau genommen präsentierte sich das Haus als das, was es war - als eine sehr alte, mit Turm bewehrte Festung auf einer abgelegenen Hebriden-Insel im Westen von Schottland -, und wenn Eleanor all die Dinge, die sie über den Besitzer des Schlosses gehört hatte, außer Acht ließ, könnte sie zu der Überzeugung kommen, dass sie sich nicht zu fürchten

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