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Weiße Nebel der Begierde

Titel: Weiße Nebel der Begierde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaclyn Reding
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Eleanor lächelte, als sie merkte, dass der junge Donald mit weit aufgerissenen Augen das viele Be-steck an seinem Platz betrachtete. Eleanor nahm ihre Serviette und legte sie sich auf den Schoß, dann bedeutete sie dem Jungen dezent, dasselbe zu tun.
    Er grinste dankbar und wurde knallrot. Der Viscount ließ sich auf seinem Stuhl nieder und Eleanor sah ihn flüchtig an.
    Er war formeller gekleidet als normal, trug einen prächtigen grünen Samtrock über einem weißen Leinenhemd mit kunstvoll gebundener Krawatte und den Kilt. Als er sich setzte, begegnete er Eleanors Blick. Ihr Herz machte einen Satz und sie lächelte unsicher.
    Erinnerte er sich wie sie an den Kuss?
    »Miss Harte, guten Abend«, sagte er und nickte ihr zu.
    »Guten Abend, Mylord.«
    Als sich alle gesetzt hatten, stand Lord Dunevin auf und erhob sein Glas, um einen Toast auszusprechen.
    »Heute feiern wir wieder eine erfolgreiche Ernte in Dunevin. Wir danken Gott, dass er uns Schutz und Gesundheit gewährt hat, dass er uns und unseren Familien so reichhaltige Nahrung schenkt.«
    Die anderen am Tisch hoben ebenfalls ihre Gläser, riefen »Aye« und tranken.
    Eleanor plauderte freundschaftlich mit Seona über die bevorstehenden Festlichkeiten am Michaelistag, und Seona erzählte, dass es ein Pferderennen, viel Tanz und Musik geben würde.
    Während der Unterhaltung nahm Eleanor ihre Gabel. Da sie am Morgen die einzige gegabelte
    Karotte gefunden hatte, wurde ihr die Ehre zuteil, das Festmahl zu eröffnen. Die Blicke aller richteten sich auf sie, als sie den ersten Bissen zu Munde führen wollte.
    »Halt!«
    Eleanor erstarrte, die Gabel knapp vor ihren Lippen, und wandte sich erstaunt an Lord Dunevin, der sie so barsch angeherrscht hatte.
    »Stimmt etwas nicht, Mylord?«
    Ohne ein Wort nahm er ihr die Gabel aus der Hand. »Essen Sie das nicht.«
    Er sprang auf, durchquerte den Raum und warf die Karotte samt Gabel ins Feuer. »Niemand isst etwas davon.«
    Mairi sah ihn erschrocken an. »Mylord, ist etwas nicht in Ordnung?«
    Gabriel umrundete den Tisch und nahm allen die Teller weg. »Das, was Miss Harte gerade essen wollte, war keine Karotte. Es war iteotha.«
    Alle schnappten entsetzt nach Luft.
    Iteotha. Eleanor wiederholte das Wort im Stillen. Sie wusste nicht, was es bedeutete.
    »Ich verstehe nicht«, sagte sie »Was ist das? Was ist geschehen?«
    Niemand gab ihr Antwort.
    Stattdessen starrten sich die anderen an, als hätte man ihnen gerade den Weltuntergang verkündet.
    Als alle Teller abgeräumt waren, kehrte Lord Dunevin zu seinem Platz an der Stirnseite des Tisches zurück. Er drückte die Hände aneinander und sah Eleanor sehr ernst an. »Es war Schierling, Miss Harte.«
    Eleanor schaute ihn entgeistert an. »Schierling?«
    Er nickte. »Er ähnelt sehr den wilden Karotten, die hier auf der Insel wachsen, und nur jemand, der beides genau kennt, kann sie unterscheiden. Hätten Sie oder ein anderer davon gegessen, die Folgen wären tödlich gewesen.«
    Eleanor lief ein eisiger Schauer über den Rücken und sie schlang instinktiv die Arme um sich. Es dauerte eine Weile, bis sie begriff, dass Lord Dunevin ihr das Leben gerettet hatte.
    »Aber, Mylord«, jammerte Mairi aufgeregt, »ich mir habe jede einzelne ganz genau angesehen.«
    »Mairi, ich bin überzeugt, dass es ein Versehen war«, bemühte sich Eleanor, sie zu beruhigen. »Wahrscheinlich habe ich sie selbst aufgeklaubt. Ich habe den Unterschied nicht erkannt. Sie und alle die anderen, die mit auf dem Feld waren, hätten sofort gewusst, dass das keine Karotte ist.«
    Mairi schüttelte den Kopf. »Aber wir haben seit Jahren keine iteotha auf dieser Insel mehr gesehen.« Sie verlor den Kampf gegen die Tränen. »Heilige Maria im Himmel, es ist genau wie damals, als Malcolm, der Bruder des Lairds ...«
    Der Viscount richtete den Blick auf Donald MacNeill. »Ist er auf der Insel?«
    MacNeill zögerte, dann nickte er bedächtig. »Aye, Mylord. Ich habe ihn heute Morgen herübergebracht.«
    »Wen, Mylord?«, fragte Eleanor.
    Dunevin packte den Stiel seines Weinglases so fest, dass Eleanor fürchtete, er würde brechen.
    »Seamus Maclean«, erwiderte er so bitter, als hätte er Galle im Mund. »Seine Familie lebt auf der Insel, und er kommt jedes Jahr her, um Michaelis mit ihnen zu feiern.«
    »Aber wir haben ihn heute den ganzen Tag nicht gesehen.«
    Gabriels dunkle Augen fixierten sie. »Miss Harte, ich wäre nicht so eifrig, ihn zu verteidigen.«
    »Das tue ich nicht, Sir«, erwiderte sie.

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