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Weiße Stille

Weiße Stille

Titel: Weiße Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Barclay
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leblos aus dem Schnee ragten. Das Loch, aus dem sie Sonny Bryant gezogen hatten, war noch zu sehen. Daneben lag einer seiner Handschuhe, von einer dünnen Schneeschicht bedeckt.
    Der Such-und Rettungsdienst setzte Sonden ein. Alle, die Kameras bei sich hatten, machten Fotos. Und die Hundeführerin ließ ihren Border Collie von der Leine, damit das Tier die Witterung des Todes aufnahm.

14.
    Charlie Barger wohnte in einem zweistöckigen viktorianischen Haus, dem ein verwunschener Charme anhaftete. Von den alten, verwitterten Mauern bröckelte der Putz, und der Garten war überwuchert. Nicht mehr lange, und die Gemeinde würde Charlie ein Bußgeld aufbrummen. Ren klingelte an der Haustür. Eine Frau mit rotem Haar öffnete. Sie trug einen mit winzigen Hunden bedruckten, pinkfarbenen Thermoanzug und ausgetretene Stiefel.
    »Guten Tag«, sagte Ren. »Ich bin Ren Bryce. Mike Delaney aus dem Sheriffbüro hat mich bei Dr. Barger angemeldet. Ich war oben auf dem Quandary Peak …«
    »Ach, Sie sind das. Ich bin Shannon, Dr. Bargers Tochter.« Die Frau schenkte ihr ein gekünsteltes Lächeln. Ihre Kleidung ließ sie jünger aussehen, als sie war. Ihr Gesicht war verhärmt, die Haut trocken und schlaff. »Kommen Sie herein. Mein Vater ist in seinem Arbeitszimmer, hinter dem Bad auf der rechten Seite.«
    Ren ging den Korridor hinunter und klopfte an die Tür. Dr. Barger öffnete ihr, und Ren trat aus dem tristen Flur in ein warmes, altmodisch eingerichtetes Arbeitszimmer. Hier vermischte sich das Flair der akademischen Welt mit der Atmosphäre einer Kleinstadtpraxis, in der ein Arzt sich noch Zeit für seine Patienten nahm. Leder, Mahagoni, vergilbte Fotos an den Wänden, Waffen und Kunstgegenstände exotischer Völker. An einem Nagel an der Wand hing ein dickes Bündel laminierter Konferenzausweise. Auf dem Boden unter dem Fenster lagen hohe Papier-und Aktenstapel in gefährlicher Schieflage.
    Ren zeigte darauf. »Haben Sie keine Angst, dass das mal umkippt?«
    Dr. Barger, ein Mann mit tief liegenden Augen und zerfurchtem Gesicht, schaute sie an und lächelte. Ren schätzte ihn auf Ende sechzig oder Anfang siebzig.
    »Ich weiß größtenteils, was drinsteht«, sagte er. »Sie sind eine Freundin von Mike?«
    »Eine Kollegin«, sagte Ren. »Wir arbeiten zusammen.«
    Dr. Barger nickte. »Ich nehme an, es geht um die Leiche am Quandary Peak.«
    »Ja.«
    »Und Mike hatte Angst, dass Sie mit Ihren Kopfschmerzen als nächste Leiche auf dem Schneefeld enden?«
    Ren lächelte. »Schon möglich.«
    Barger untersuchte sie, setzte sich dann auf den Rand des Schreibtisches und musterte sie stumm. Ren erwiderte den Blick und spürte Panik in sich aufsteigen. Jedes Mal, wenn sie zu einem Arzt ging, hatte sie Angst, er würde ihr sagen, dass er etwas Schlimmes entdeckt hatte.
    »Wasser, Wasser, Wasser«, sagte Barger. »Keinen Alkohol, keinen Kaffee, aber jede Menge Wasser, sonst trocknen Sie aus. Wenn Sie sich auf Höhe des Meeresspiegels aufhalten, hat die Luft einundzwanzig Prozent Sauerstoff. Hier oben sind es nur noch elf Prozent. Und im menschlichen Körper gibt es jede Menge Zellgewebe, das um jedes bisschen Sauerstoff kämpft. Das Gehirn braucht am meisten davon, darum macht es als Erstes schlapp. Es besteht die Gefahr, dass sich ein Ödem bildet. Außerdem kommt es zu Gedächtnislücken, sogar zu Halluzinationen.« Er tippte sich gegen die Schläfe. »Das Denkvermögen lässt immer mehr nach, bis Sie nur noch die geistigen Fähigkeiten eines Kleinkindes besitzen.«
    »Dazu brauche ich keinen Sauerstoffmangel«, sagte Ren lächelnd.
    Barger erwiderte das Lächeln. »Mir machen Sie nichts vor.«
    »Und auf Kaffee kann ich nicht verzichten. Ohne Kaffee kann ich nicht klar denken.«
    »Trotzdem müssen Sie mehr Wasser trinken.«
    »In Ordnung. Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben.«
    »Kein Problem. Bestellen Sie Mike Grüße von mir.«
    »Mach ich.« Ren stand auf. »Was bin ich Ihnen schuldig?«
    »Siebzig Dollar.«
    Ren bekam einen Schreck. Halsabschneider. »Okay …«
    Als Ren zur Haustür ging, lief Shannon, Bargers Tochter, vor ihr durch den Korridor und betrat ein Zimmer auf der rechten Seite. Ren warf einen Blick hinein. Sie sah den muskulösen Rücken eines Mannes, der sich nach vorn beugte und seine Jeans anzog. Er trug keine Unterwäsche.
    Shannon Barger fing Rens Blick auf, als sie sich umdrehte, um die Tür zu schließen. Offenbar hatte Shannon nur das selbstgefällige Grinsen in ihrem Repertoire, das sie auch

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