Weiße Stille
geschlungen. Ihr Herzschlag setzte aus. Sie schloss die Augen.
O Gott.
Die Erinnerung kehrte zurück. Sein Gesicht, sein Mund, seine Arme, seine Hände … ganz zu schweigen von den anderen Teilen seines Körpers, die sie geglaubt hatte, niemals zu sehen zu bekommen.
Billy wachte stöhnend auf und zog seine Hand unter ihr weg.
»Guten Morgen«, sagte er und rollte sich auf den Rücken. Sie hörte das Lächeln in seiner Stimme.
Was habe ich getan?
»Das FBI«, sagte Billy lachend.
Die Leute, die mich feuern können.
Ren richtete sich auf. »Tut mir leid, Billy. Ich muss gleich los …«
»Schon?«
»Ja.« Ren schaute sich um und versuchte, jedes Kleidungsstück zu lokalisieren, ehe sie aufstand.
Geiseltraining – einen Raum betreten und sich in Sekundenschnelle einprägen, wo was ist.
»Du bist heute Morgen nicht glücklich, stimmt’s?«, sagte Billy.
Sie drehte sich zu ihm um. Er strich ihr das Haar aus dem Gesicht.
Keine Zärtlichkeiten bitte.
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll …«
»Schon okay. Kein Problem.«
Ren setzte sich hin. Slip: zwei Uhr. Jeans: drei Uhr. BH: zehn Uhr. Stiefel: sechs Uhr. Top …
»Hast du meinen Pullover irgendwo gesehen?«
»Der liegt hinter der Theke.«
O Gott.
»Ich ziehe ihn an, wenn ich gehe.« Ren stand neben dem Bett. »Hm … danke.«
»Danke?« Billy lachte.
»Dass du mich hier aufgenommen hast.«
»Ich bin nun mal ein guter Mensch.«
Ren schaute ihn geduldig an.
»Bekomme ich keinen Abschiedskuss?«, fragte Billy.
Meine Güte.
Ren beugte sich hinunter, um Billy auf die Wange oder die Stirn zu küssen. Er nahm ihr die Entscheidung ab und küsste sie auf den Mund. Ren wich zurück.
Billy lachte.
»Ich hab das Gleichgewicht verloren«, sagte Ren.
»Gestern Nacht auch?«
Sie wandte ihm den Blick zu. »Bye. Danke …«
Ren suchte rasch die Toilette auf. Sie schaute in den Spiegel und sah ein verkatertes Gesicht: blasse Haut, die Wimperntusche verschmiert. Ren gab viel Geld für Kosmetikartikel aus, damit sie einer durchzechten Nacht standhielt, doch das schlechte Gewissen stand ihr ins Gesicht geschrieben. In ihrem gehetzten Blick spiegelte sich die Frage, die sie niemals beantworten konnte.
Was hast du dir dabei gedacht?
Ren wischte mit dem Mittelfinger die Wimperntusche unter den Augen weg und trug neue auf. Sie strich mit den Fingern durch ihr Haar und starrte auf ihr Spiegelbild.
Was hast du dir dabei gedacht?
Sie runzelte die Stirn und lächelte.
Ach, was soll’s.
Ihr Pullover lag auf einem Korb voller Biergläser, die dort zumTrocknen standen. Ren zog ihn schnell an. Sie ging zur Tür, schloss sie auf und öffnete. Der Schnee lag über einen Meter hoch. Sie sah ihren Jeep am Ende des Parkplatzes mitten in einer Schneewehe stehen. Verdammt noch mal. Sie starrte auf den Schnee, als könnte sie ihn kraft ihrer Gedanken zum Schmelzen bringen. Scheiße. Ren kehrte zu Billy zurück. Billy sprach leise in sein Handy. Ein wenig verwirrt hob er den Blick und beendete schnell das Telefonat.
Er lächelte.
»Hast du eine Schneeschaufel?«, fragte Ren.
»Der Sturm?«
»Ja.«
»Okay.« Billy ließ sich wieder aufs Bett fallen. »Gib mir eine Minute, damit ich mich sammeln kann. Tut dein Kopf heute Morgen weh? Also, ich hab totale …«
»Tut mir leid, aber ich muss unbedingt zur Arbeit. Sag mir einfach, wo die Schneeschaufel ist, dann erledige ich das schon.«
»He, jetzt mach doch nicht so einen Stress.«
»Dieser Satz steht auf der Liste meiner Lieblingssätze an letzter Stelle.«
Billy warf ihr einen Blick zu, den Ren schon mehrmals bei ihm gesehen hatte – seine Reaktion auf ihren gereizten Tonfall. Er warf die Decke zurück und stand auf. »Okay.«
»Ich bin spät dran, das ist alles.«
Ren ging in die Kneipe, während Billy sich anzog. Es dauerte nicht lange, bis er mit der Schaufel auftauchte. »Setz dich. Darf ich dir einen Kaffee bringen?«
Ren schüttelte den Kopf. Ihr Blick schweifte zur Tür. Billy verstand die Botschaft, und sie gefiel ihm nicht. Er ging durch den Hinterausgang hinaus. Ren beobachtete ihn durchs Fenster, wie er einen Pfad zu ihrem Jeep schaufelte, bis zur Straße und zurück zum Eingang der Kneipe.
Er kam herein, zog seine Jacke aus und warf sie auf einen Stuhl.
»Danke«, sagte Ren und stand auf. Sie hatte es eilig, die bedrückende Stimmung und die innere Leere nach einer durchzechtenNacht hinter sich zu lassen. Billy kehrte ihr den Rücken zu, als er die Fensterläden öffnete. Er warf nur einen
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