Weiße Stille
soll.«
»Reden Sie mit mir über das, worüber Sie auch mit anderen reden.«
»Mit der Frau, die mich lebenslang hinter Gitter bringen könnte?«
»Warum sollte ich?«
»Fragen Sie Ihre Kollegen aus Atlanta.«
»Ich bitte Sie. Würde ich hier alleine mit Ihnen sitzen, wenn ich Sie für so gefährlich hielte?«
»Das könnte Teil Ihres Plans sein.«
»Ich habe keinen Plan. Ich mache nur meinen Job.«
Beide schwiegen einen Moment.
»Wie kam es eigentlich, dass Sie hier gelandet sind?«, fragte Ren.
»Es war ein schwerer Aufstieg auf der Karriereleiter, aber ich hab’s geschafft.« Er stieß mit ihr an.
»War Ihr Weg denn so steinig?«
»Ja.«
Ende der Diskussion.
»Aber wie sind Sie aufgewachsen?«, fragte Ren.
»Ich hatte eine schlimme Kindheit. Ich habe oft Schläge eingesteckt«, sagte er. »Und ich habe Spinnen die Beine ausgerissen.«
Ren lachte.
»Jetzt mal im Ernst. Hat meine Mutter Sie geschickt? Sie sind gar nicht vom FBI , stimmt’s? Sie will sich nur davon überzeugen, dass ich ihr an nichts die Schuld gebe.«
»Offenbar war Ihre Kindheit ganz okay.«
»Ja. Verrückt, aber nicht schlecht. Na ja … ich habe ein paar sonderbare Dinge erlebt, aber jetzt habe ich keine Probleme mehr damit.«
Ren lächelte.
»Und wie war es bei Ihnen?«, fragte Billy.
»Bei dieser Frage lüge ich immer und sage, dass mein Vater bei einer Behörde gearbeitet hat und meine Mutter Hausfrau war. Oder ich sage die Wahrheit. Oder vielleicht verdienen Sie auch nur eine zurechtgestutzte Wahrheit, so wie Sie sie mir gerade erzählt haben.«
»Ja, das waren alles Lügen. Bleiben wir bei den Lügen.«
»Mein Vater hat bei einer Behörde gearbeitet, und meine Mutter war Hausfrau.«
»Nicht schlecht.« Sie stießen wieder an. Und dann mit dem nächsten Drink. Und mit dem nächsten Drink … bis zum letzten Drink.
»Darf ich Sie was fragen?«, fragte Billy. »Ist Ren eine Abkürzung?«
Ren lächelte verhalten.
»Ah«, sagte Billy. »Sie wollen es mir nicht sagen.«
Ren grinste. »Stimmt.«
»Jetzt interessiert es mich wirklich brennend.«
Ren zögerte. »Okay … Renegade.«
»Was? Das ist nicht Ihr Ernst, oder?«
»Nein.«
Billy lachte. »Ich dachte, Ihre Eltern wären Hollywoodstars oder so was gewesen.«
»Nein. Schlimmer.«
»Ja? Sagen Sie schon.«
»Orenda.«
»Orenda?«
»Das ist eine übernatürliche Macht der Irokesen.«
»Ich dachte mir, dass solche Wurzeln in Ihnen stecken. Sie haben ein sehr eindrucksvolles Gesicht.«
»Danke. Die Irokesen glauben, dass man in große Schwierigkeiten gerät, wenn man nicht auf seine Träume achtet, weil sie unmittelbar mit der Seele verbunden sind. Aber sie glauben auch, dass man mit der übernatürlichen Macht kommunizieren kann, wenn man träumt … Orenda.«
Billy dachte kurz nach. »Mystisch. Aber der Name ist trotzdem bescheuert.«
Ren lachte. »Okay, okay …«
»Gibt es jemanden, der Sie noch so nennt?«
»Ein paar Leute gibt’s schon, ja.«
Billy lachte wieder. »Aber ich werde es nicht tun. Auf gar keinen Fall.«
»Für Sie bin ich sowieso Agentin Bryce, klar?«
»Tatsächlich?« Er verzog das Gesicht.
»Das war ein Scherz, Trottel.«
»Dürfen FBI-Agentin andere Leute Trottel nennen?«
»Ja. Wir können tun, was wir wollen.«
Billy schüttelte den Kopf.
»Okay«, sagte Ren. »Es ist halb fünf.«
»Sie können jetzt nicht fahren. Legen Sie sich auf die Pritsche. Ich leg mich hier in die Nische.«
»Nein. Ich … ich warte einfach, esse einen Happen, trinke einen Kaffee, und in ein paar Stunden mache ich mich dann auf den Weg. Ich würde hier sowieso kein Auge zumachen … aber trotzdem vielen Dank.«
»Okay.« Billy reichte ihr die Hand und zog sie vom Stuhl hoch.
»Kräftige Arme«, sagte Ren.
»Ja. Eine feste Hand. Für die Vorbeifahrenden.«
Ren lachte. »Stopp.« Sie hielt seinem Blick stand und sah, was sich dahinter verbergen konnte. Er ließ ihre Hand nicht los. Ren wandte den Blick ab, entzog ihm behutsam ihre Hand und beugte sich hinunter, um ihre Handtasche vom Boden aufzuheben.
»Tja, also …«, sagte sie.
Sie richtete sich wieder auf.
Sieh ihn nicht an.
Sie tat es dennoch.
Seine Augen …
Als Billy sich zu ihr hinunterbeugte, schloss sie die Augen. Er küsste sie so zärtlich, dass sie sich kaum bewegen konnte. Sie wehrte sich nicht. Und es war ihr in diesem Augenblick egal, dass es der größte Fehler sein könnte, den sie je begangen hatte.
35.
Als Ren erwachte, hatte Billy einen Arm um ihren nackten Leib
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