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Weißer Fluch: Band 1 (German Edition)

Weißer Fluch: Band 1 (German Edition)

Titel: Weißer Fluch: Band 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holly Black
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du mir das Auto leihen? « , frage ich Großvater.
    » Morgen « , antwortet er. » Wenn wir weit genug kommen. Hast du einen Arzttermin? «
    » Ja « , lüge ich, » dafür brauche ich das Auto. « Vor allem brauche ich ausreichend Zeit für mich allein, um meinen Plan, nach Wallingford zurückzukehren, in die Tat umzusetzen. Dabei spielt auch ein Arzt eine Rolle, aber keiner, der mich bereits erwartet.
    Philip nimmt die Sonnenbrille ab. » Und wann hast du den Termin? «
    » Morgen « , sage ich spontan, sehe Philip an und nagele mich fest. » Um zwei. Bei Dr. Churchill, einem Schlafmediziner. In Princeton. Das ist doch okay, oder? « Da die besten Lügen so viel Wahrheit wie möglich enthalten, erzähle ich ihnen genau, wohin ich will. Nur nicht warum.
    » Maura hat uns noch was zu essen mitgegeben « , sagt Philip. » Ich bringe es schnell rein, sonst vergesse ich das noch. « Keiner von beiden kommt auf die Idee, mich zu dem ganz und gar erfundenen Termin zu begleiten, was mich mit tiefer, unverdienter Erleichterung erfüllt.
    Man könnte einen Schnitt durch das Durcheinander unseres Hauses machen und ihn betrachten wie Baumringe oder Ablagerungen. Man würde die schwarz-weißen Haare des Hundes finden, den wir hielten, als ich sechs war, und die selbstgefärbte Jeans meiner Mutter, die sieben blutgetränkten Kissen von damals, als ich mir das Knie aufgeschlagen hatte. Alle Geheimnisse meiner Familie ruhen in endlosen Schichten übereinander.
    Manchmal machte das Haus einfach nur einen verwahrlosten Eindruck, aber zu anderen Zeiten hatte es etwas Magisches. Mom musste nur in irgendeine Ecke, eine Tasche oder einen Schrank greifen, und schon hatte sie, was sie brauchte. Für die Silvesterparty holte sie sich von irgendwoher ein Diamantkollier und Zitrinringe mit daumengroßen Edelsteinen. Als ich mit Fieber im Bett lag und keine Lust mehr auf die Bücher hatte, die verstreut auf dem Boden lagen, zauberte sie die gesamte Narnia-Serie hervor. Und als ich den Lewis ausgelesen hatte, zog sie ein handgeschnitztes schwarz-weißes Schachbrett mitsamt Figuren aus dem Fundus.
    » Da draußen sind Katzen « , sagt Großvater nach einem Blick aus dem Fenster, während er eine Kaffeetasse spült. » In der Scheune. «
    Philip stellt sorgfältig eine Tüte mit Lebensmitteln ab. Er guckt irgendwie komisch.
    » Streuner « , sagt Großvater. Er pult mit einer Gabel einen uralten Brotkanten aus dem alten Toaster und wirft ihn in den Müllsack, den er an die Klinke der Kellertür gehängt hat.
    Ich gehe zu ihm und schaue aus dem Fenster. Da sehe ich sie, kleine geschmeidige Wesen. Eine getigerte hüpft auf eine verrostete Farbdose und eine weiße Katze sitzt im hohen Gras; nur die Schwanzspitze zuckt. » Glaubst du, die sind schon lange hier? «
    Mein Großvater schüttelt den Kopf.
    » Wetten, das sind eigentlich Haustiere? Sie sehen so zahm aus. «
    Großvater knurrt.
    » Ich könnte ihnen ja was zu fressen bringen « , sage ich.
    » Leg das Fressen in eine Falle « , sagt Philip. » Fangt sie lieber, sonst werden es immer mehr. «
    Nachdem Philip weggefahren ist stelle ich ihnen trotzdem etwas zu fressen hin – eine Dose Tunfisch, der sie nicht nahe kommen, während ich noch dastehe, um die sie aber später erbittert kämpfen. Von der Einfahrt aus zähle ich fünf Katzen: die weiße, zwei getigerte, die ich kaum auseinanderhalten kann, eine flauschige schwarze mit einem weißen Fleck unter dem Kinn und eine kleine karamellfarbene.
    Den Rest des Vormittags putzen Großvater und ich mit grimmiger Entschlossenheit die Küche und ziehen statt der üblichen Handschuhe welche aus Gummi an. Wir werfen einen Stapel rostiger Gabeln, ein Sieb und mehrere Pfannen weg. Unter dem Linoleum entdecken wir ein Nest von Kakerlaken, die so schnell davonhuschen, dass die meisten überleben, obwohl wir stampfend hinterherlaufen. Nach dem Mittagessen rufe ich Sam an, aber Johan geht an sein Handy. Anscheinend ist Sam damit beschäftigt herauszufinden, ob die Zwölftklässler » den Luftraum über dem Zwölftklässlerrasen « überwachen. Das Experiment besteht darin, einen Fuß locker über den verbotenen Boden zu halten, bis jemand kommt und ihm eins auf die Nuss gibt. Ich sage, dass ich später noch mal anrufe.
    » Wen rufst du an? « , fragt Großvater und wischt mit dem Hemd übers Gesicht.
    » Niemanden. «
    » Gut « , sagt er. » So viel, wie wir noch zu tun haben. «
    Ich setze mich rittlings auf einen Küchenstuhl und lege das Kinn auf

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