Weißer Fluch: Band 1 (German Edition)

gibt es jedoch nichts zu sehen. Als ich mich umschaue, liegen die beiden Männer am Boden. Das Blut mischt sich mit der Milch und die Pistole gleitet auf mich zu– ihre Zunge schnellt witternd durch die Luft.
    Ich habe Halluzinationen. Ich sterbe. Panik steigt in mir auf, aber ich kann nicht schreien.
    » Was zum Teufel haben die hier gemacht? Das war nicht der Plan, unsere eigenen Leute abzuknallen « , schreit Anton. » Das hätte nicht passieren dürfen! «
    Meine Arme sind Baumstämme, Sofalehnen, sie wickeln sich zu Taurollen.
    Helft mir. Bitte helft mir. Helft mir doch.
    Anton zeigt auf mich. » Das ist alles seine Schuld! «
    Ich will aufstehen, aber meine untere Hälfte gehört einem Fisch. Meine Augen drehen sich im Kopf. Als ich zu sprechen versuche, kommen Gurgellaute über das, was ich anstelle von Lippen habe.
    » Wir müssen die Leichen wegschaffen « , sagt Barron.
    Jetzt höre ich das Geräusch von knackenden Knochen und ein nasses Klatschen. Ich will den Kopf drehen, um etwas zu sehen, aber ich weiß nicht mehr, wie das geht.
    » Bringt ihn zum Schweigen « , brüllt Anton.
    Habe ich irgendeinen Laut von mir gegeben? Ich kann nicht mal mich selbst hören.
    Ich werde hochgehoben und durch das Restaurant geschleppt. Als mein Kopf nach hinten fällt, entdecke ich ein Gemälde an der Decke. Ein nackter alter Mann schwingt einen Krummsäbel und reitet auf einem braunen Pferd den Hügel hinunter. Die Pferdemähne und die langen Haare des Mannes wehen im Wind. Das bringt mich zum Lachen, aber es klingt wie das Pfeifen eines Teekessels.
    » Das ist nur der Rückstoß « , sagt Philip leise. » Bald geht es dir wieder besser. «
    Er verstaut mich in Antons Kofferraum und knallt die Haube zu. Es stinkt nach Öl und etwas anderem, aber ich bin so neben der Spur, dass ich es kaum merke. Als der Motor aufheult, winde ich mich im Dunkeln. Mein Körper ist mir fremd.
    Wir sind auf dem Highway, als ich endlich zu mir komme. In unregelmäßigen Abständen blitzen die Scheinwerfer anderer Autos in den Kofferraum. Bei jedem Schlagloch knalle ich mit dem Kopf gegen die mit Teppichboden bedeckte Kuhle für den Ersatzreifen und werde von der Karosserie durchgerüttelt. Als ich mich herumwälze, berühre ich Plastik, das mit etwas Weichem gefüllt ist. Es ist noch warm.
    Ich erwäge kurz, meinen Kopf daran zu lehnen, aber dann fasse ich an eine nasse, klebrige Stelle und kapiere, was ich da anfasse.
    Müllsäcke.
    Ich würge im Dunkeln und krieche so weit wie möglich in die andere Richtung. Ich drücke mich an die Karosserie, bis sich das Metall in meinen Rücken bohrt. Ich muss mir den Hals verrenken und mich mit dem Arm abstützen, aber so bleibe ich den Rest der Fahrt über.
    Als das Auto endlich anhält, schmerzen alle meine Glieder und mir ist schwindelig. Ich höre, wie die Türen zugeschlagen werden, wie der Kies knirscht. Dann wird der Kofferraum geöffnet. Anton steht über mir. Der Wagen steht in der Einfahrt unseres Hauses.
    » Was hast du dir bloß dabei gedacht? « , schreit er mich an.
    Ich schüttele den Kopf. Keine Ahnung, warum ich die Pistole verwandelt habe; ich weiß nicht mal, wie ich das gemacht habe. Ich schaue auf meine Hand und die dunkelroten stumpfen Flecken.
    Meine bloße Hand.
    » Das sollte geheim bleiben. Du solltest geheim bleiben. « Dann entdeckt auch er, dass ich keine Handschuhe anhabe. Sie müssen sie im Restaurant vergessen haben.
    Er knirscht mit den Zähnen.
    » Tut mir leid « , sage ich und klettere benommen aus dem Kofferraum. Es tut mir wirklich leid.
    » Wie fühlst du dich? « , fragt Barron.
    » Seekrank « , antworte ich, aber ich fühle mich nicht nur wegen der Autofahrt zum Kotzen. Ich weiß, dass ich zittere, aber ich kann nichts dagegen tun.
    » Deinetwegen habe ich diese Männer umgebracht « , sagt Anton. » Ihr Blut klebt an deinen Händen. Ich arbeite einzig und allein darauf hin, die alten Zeiten wieder aufleben zu lassen, in denen Fluchwerker noch etwas wert waren. Damals standen wir für eine gute Sache, für die man sich nicht schämen musste. Alle Politiker waren auf unserer Seite, alle Bullen. Wir waren wie Prinzen in dieser Stadt, und das können wir auch wieder werden.
    » Wundertäter, hat man uns genannt « , sagt er. » Wundertäter, Experten. Hochqualifizierte. Wenn ich erst das Sagen habe, wird alles wieder wie früher, die Stadt wird erzittern. Das ist ein gutes Ziel, eine würdige Aufgabe. «
    » Und wie willst du das anstellen? « , frage ich. »