Weißer Fluch: Band 1 (German Edition)

versucht, dich zu schützen « , sagt Anton. » Warum musstest du das Maul aufreißen? Du hattest es doch leicht. Wird Zeit für eine Abhärtung. « Er zögert und klingt ein wenig verunsichert. » In deinem Alter war mir bereits klar, dass man dem Fluchwerkeradel nicht widerspricht. Meine Mutter hat mir diese Narben verpasst, als ich dreizehn wurde, und sie jedes Jahr wieder aufgemacht und mit Asche gefüllt, bis ich zwanzig war. Um mich daran zu erinnern, wer ich bin. « Er berührt die Narben, die um seinen Hals perlen. » Um mich daran zu erinnern, dass Schmerz der beste Lehrer ist. «
    » Sag uns einfach, ob du mit jemanden darüber geredet hast, okay? « , fragt Barron.
    Einen ehrlichen Mann kann man nicht hereinlegen. Nur gierige oder verzweifelte Menschen sind bereit, alle Vorsicht zu vergessen, um etwas zu bekommen, das sie nicht verdient haben. Das habe ich oft genug– unter anderem von meinem Dad– als Rechtfertigung für Trickbetrug zu hören bekommen.
    » Beteiligt mich an der Kohle « , sage ich zu Anton. » Wenn ich es schon verdiene, will ich auch entscheiden, wofür es ausgegeben wird. «
    » Geritzt « , sagt Anton.
    » Ich habe meinem Mitbewohner Sam erzählt, dass ich ein Fluchwerker bin. Aber nur das, nicht, was für einer. «
    Anton atmet tief aus. » Das ist alles? Mehr hast du nicht gemacht? « Er fängt an zu lachen.
    Barron lacht mit, und dann lachen wir alle, als hätte ich den besten Witz aller Zeiten gerissen.
    Einen Witz, den sie, gierig und verzweifelt wie sie sind, unbedingt schlucken wollen.
    » Gut, gut « , sagt Anton. » Und jetzt ziehst du einen feinen Anzug an, ja? Wir gehen schließlich nicht zum Schulball. «
    Ich humpele zu meinem Kleiderschrank. Dann bücke ich mich, als wollte ich etwas Passendes aus dem Rucksack holen. Zwischen meinen Jeans und der Uniform finde ich tatsächlich ein Hemd und richte mich wieder auf.
    » Philip hatte also die Idee und du hast einfach mitgespielt? Das klingt so gar nicht nach dir « , sage ich und gehe unbeholfen zur Tür zurück. Dabei bleibe ich versehentlich-absichtlich mit dem Fuß hängen und tue so, als würde ich stolpern, um mich an Barron festzuhalten. Meine Finger sind schnell und wendig. » Uups, sorry. «
    » Pass doch auf « , sagt er.
    Ich lehne mich an den Türrahmen und halte die Hand vor den Mund, als müsste ich gähnen. » Na los, spuck’s aus. Was ist der wahre Grund dafür, dass du mir nichts gesagt hast? «
    Barron verzieht den Mund zu einem eigenartigen, schmalen Lächeln. » Es ist so ungerecht. Ausgerechnet du bekommst den heiligen Gral der Fluchmagie. Und mir bleibt nichts anderes übrig, als mit Erinnerungen rumzupfuschen, als wäre ich die Putzkolonne. Klar, im Alltag kann das schon ganz nützlich sein. In der Schule konnte ich mogeln oder andere vergessen lassen, was ich getan hatte, aber was ist das schon wert? Nicht viel. Weißt du, wie viele Verwandlungswerker weltweit innerhalb von zehn Jahren geboren werden? Höchstens einer. Wenn überhaupt. Du wurdest mit wahrer Macht geboren und wusstest es nicht mal zu schätzen. «
    » Ich wusste es nicht « , sage ich.
    » An dich ist das einfach verschwendet « , sagt er und legt mir die bloße Hand auf die Schulter. Meine Nackenhaare stellen sich auf.
    Ich versuche, so zu reagieren, als hätte ich ihm nicht den letzten unversehrten Amulettstein abgenommen, den er mir rausgeschnitten hat, und ihn anschließend verschluckt. Verwandlungswerk mag an mich verschwendet sein, aber meine Fingerfertigkeit bestimmt nicht.
    Am Ende ziehe ich einen alten Anzug von Dad an, den ich im Zimmer meiner Eltern finde. Wie zu erwarten, hat Mom Dads Sachen aufbewahrt. All seine etwas altmodischen und nach Mottenkugeln stinkenden Anzüge hängen noch in seinem Schrank, als warteten sie darauf, dass er von einer langen Reise zurückkommt. Ein Zweireiher passt mir erstaunlich gut, und als ich die Hand in die Tasche stecke, finde ich ein zerknülltes Taschentuch, das nach seinem Rasierwasser riecht.
    Ich balle die Faust darum, als ich Anton und meinem Bruder zu Antons Mercedes folge.
    Im Auto raucht Anton nervös eine Zigarette nach der anderen, während er mich im Rückspiegel beobachtet. » Weißt du noch, was du tun sollst? « , fragt er mich, als wir in den Tunnel nach Manhattan fahren.
    » Klar. «
    » Du machst das schon. Und wenn du willst, schneiden wir dir nach dieser Geschichte ein Halsband. Barron, dir auch. «
    » Klar « , sage ich noch mal. In Dads Anzug fühle ich mich