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Weißer Schatten

Titel: Weißer Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deon Meyer
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wenn andere Leute von ihren Eltern erzählen,
     und man sitzt da mit all diesem Hass? Auf das, was sie einander angetan haben. Und auf einen selbst. Sie waren wie zwei verschiedene
     Chemikalien, die einzeln harmlos waren, zusammen aber explosiv.
    Englisch war die Sprache ihrer Streitigkeiten, ihrer Diskussionen und Tiraden, des Schreiens und Fluchens. Sie sprachen immer
     Englisch miteinander. Meine Mutter weigerte sich, Afrikaans zu sprechen. ›Das ist so eine gewöhnliche Sprache‹, sagte sie
     immer, und daher sprach mein Vater nur Afrikaans mit mir, und auch darüber stritt sie sich mit ihm. Andererseits stritten
     sie über alles – über Geld, Arbeit, seine Trinkerei und ihre Untreue, seinen mangelnden Ehrgeiz und ihr Bedürfnis nach Status.
     Über das Essen, das sie kochte, und die Haushaltsarbeiten, die er nicht erledigte. Über ihre Verschwendungssucht und seinen
     Geiz, über alles, was man sich nur vorstellen kann.
    Ich dachte, das sei normal. Ich kannte es nicht anders. Fünf Tage die Woche stritten und zankten sie jede Nacht. Jeden Abend
     köderten sie einander, bis irgendetwas traf und zum Thema wurde, zum Start für einen Streit, auf den sie sich konzentrierten,
     bis sie nur noch fluchten und schrien.
    Ich weiß nicht, wie alt ich war, als ich alleine loszuziehen begann. Vielleicht sieben. Wenn es Zeit war, dass sie nach Hause
     kamen, streifte ich allein durch die Straßen oder ging ans Meer. Aber wenn ich nach Hause kam und sie fragte: ›Wo warst du?‹,
     und er sagte: ›Lass meinen Jungen in Ruhe‹, wurde ich zum neuen Mittelpunkt ihres Ärgers.
    |197| Wenn ich durch Seapoint spazierte, sah ich die anderen. Sippen und Gruppen, die auf dem Bürgersteig saßen, in den Gärten und
     auf den Balkonen, sie lachten und plauderten. Ich stand da wie ein Kind ohne einen Cent, das durch das Fenster des Süßigkeitenladens
     starrte.
    Mein Vater schlug mich das erste Mal, als ich neun war. Es war, als bräche ein Damm.
    Er hatte ihr nie getraut. Er hatte immer vermutet, dass etwas nicht in Ordnung war. Er machte ihr Vorwürfe und war misstrauisch,
     hatte aber nie Beweise. Dafür war sie zu geschickt. Aber in dieser Nacht war sie unbesonnen. Und er war betrunken. Er stand
     am Fenster und sah, wie einer der Bardini-Brüder, die eine Eisdiele in der Hauptstraße hatten, sie mit dem Motorrad nach Hause
     brachte. Er sah, wie sie den Mann zum Abschied küsste, wie er dabei ihren Hintern begrabschte. Wie sie zurück zu dem Italiener
     schaute, als sie davonging und lachte. Da wusste mein Vater, was sie getan hatte, und als sie hereinkam, sagte er: ›Und jetzt
     fickst du Spaghettifresser?‹
    Und sie sagte: ›Wenigstens wissen die, wie man fickt‹, und er nannte sie eine Hure, und sie warf einen Aschenbecher nach ihm,
     der die Wand traf. Er ging zu ihr und hob die Hand, und sie sagte: ›Wag es nicht.‹ Er drehte sich um und schlug mir ins Gesicht,
     und sie schrie: ›Was, zum Teufel, machst du?‹ Und er sagte: ›Tust du es wieder?‹, und sie sagte: ›Verdammt noch einmal, was
     machst du da?‹ Er schlug mich erneut und brüllte sie an: ›Nicht ich – du. Du tust das.‹«
    Ich hörte auf zu reden, denn ich wusste ums Verrecken nicht, wie ich auf dieses Thema gekommen war.
    »Tut mir leid, Emma.«
    Ich rutschte auf dem Stuhl hin und her. Ich beugte mich vor. Ich fragte mich, ob ich ihre Hand halten könnte.
    »Ich wollte nicht so …«
    Ihre Haut schien durchsichtig geworden zu sein. Ich konnte das Dunkelblau ihrer zarten Venen erkennen.
    »Aber so bin ich nun einmal.«
    Mit jedem Piepsen der Maschine pumpte ihr Herzblut |198| durch ihre Arterien zum Hirn, von dem man immer noch nicht wusste, wie viel Schaden es davongetragen hatte.
    »Ich glaube, dass ich heute verstehe, wie alles zusammenpasste. Von diesem Tage an schlug mein Vater mich oft und heftig.
     Das Problem mit Gewalt ist, dass sie nach mehr Gewalt verlangt. Bei Menschen, in der Gesellschaft, zwischen den Staaten. Es
     ist so, als könnte man das Böse, wenn es erst mal freigesetzt ist, nicht zurück in die Flasche zwängen. Aber es hilft auch
     nicht, vor Gericht zu stehen und zu erzählen, dass man vom eigenen Vater zu dem gemacht wurde, der man ist.«
    Ich betastete den Saum des Krankenhauslakens. Er war weicher, als ich erwartet hatte.
    »Ich konnte nie verstehen, warum er nicht Bardini schlug. Warum ging er nicht in den Eisladen und zerrte den Mann nach draußen
     und verprügelte ihn? Die Antwort ist: Mein Vater war ein

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