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Weißer Schatten

Titel: Weißer Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deon Meyer
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Feigling – und das habe ich mir geschworen, nie zu sein.
    Die Strategie meines Vaters funktionierte eine Weile. Er sagte, wenn sie nicht wolle, dass er mich schlage, müsse sie aufhören
     herumzuhuren. Meine Mutter benahm sich zwei oder drei Monate, aber ich glaube, sie konnte nicht ohne die Aufmerksamkeit anderer
     Männer leben.
    Erst als Erwachsener habe ich versucht, die Teile zusammenzusetzen. Ich habe Fotos von meiner Mutter als Kind gesucht und
     später mit meinem Vater. Ich erinnerte mich, was sie über ihre Kindheit gesagt hatte, wenn sie mit meinem Vater stritt. ›Daddy
     hat mich geliebt, Daddy fand mich toll.‹ Sie sprach so über ihren Vater, diesen Mittelklasse-Engländer aus Lower Rosebank.
     Er war ein Angestellter der Provinzverwaltung. Sie war ein hübsches Kind gewesen, zart, mit blondem Haar und großen Augen.
     Auf jedem Schnappschuss lächelte sie strahlend in die Kamera, sie war sich ihrer Selbst stets bewusst und zufrieden damit.
    Sie lernten sich in der Werkstatt kennen. Mein Vater war zwanzig, mit dunklem Haar und düsterem Blick. Er hatte ein Mädchen
     in Parow, eine ernsthafte Beziehung, sie sprachen darüber, sich zu verloben. Ich glaube, das war der Anfang aller |199| Probleme. Meine Mutter wollte die Aufmerksamkeit aller Männer, und da war einer, den sie nicht haben konnte. Sie machte weiter,
     bis sie sich seiner sicher war.
    Als ich fünf war, war sie nicht mehr jung und niedlich. Ich weiß nicht, ob das an der Schwangerschaft lag oder bloß an der
     Zeit, die vergangen war. Vielleicht auch daran, dass die Ehe so schlecht lief. Mit dreißig war sie müde, erschöpft, und man
     sah es ihr an. Sie versuchte die Aufmerksamkeit der Männer mit Make-up auf sich zu ziehen, mit gefärbtem Haar und enger Kleidung.
     Die Kerle waren die Kerzen, sie war die Motte. Der Drang war unwiderstehlich, eine zwingende Reaktion, so wie das Bein zuckt,
     wenn man sich das Knie stößt.
    Es verlief in Wellen. Meine Mutter blieb treu, dann war es einigermaßen vernünftig und ruhig. Dann begannen sie zu streiten,
     und sie zog los und suchte nach Aufmerksamkeit, bis irgendein Mann mehr wollte und sie nachgab und irgendwo mit ihm schlief.
     Sogar in unserer Wohnung. Einmal kam ich morgens aus der Schule, vielleicht weil ich krank war. Ich hatte einen Schlüssel,
     kam herein und hörte sie – meine Mutter und Phil Robinson, den reichen Briten, dem das Hotel am Meer gehörte. Hundert Hotelzimmer,
     aber sie mussten in unsere Wohnung kommen.
    Als meine Mutter mich sah, schrie sie: ›Großer Gott, oh, großer Gott, Marty, verschwinde, verschwinde.‹ Aber ich stand nur
     da und starrte sie an, bis sie von ihm herunterstieg und auf mich zukam und die Tür schloss. Später, als Robinson weg war,
     bat sie mich, meinem Vater nichts zu sagen. ›Er schlägt dich sonst bloß wieder.‹
    Das ist meine Geschichte, Emma.
    Armer weißer Afrikaaner-Dreck. Genau wie meine Mutter gesagt hatte.
    Mein Vater war Weintrinker. An ihn lässt mich der Geruch von Wein denken – an den sauren Atem, wenn er betrunken war und mich
     schlug, weil meine Mutter verschwunden war.
    Als ich dreizehn war, verließ sie uns. Mein Vater prügelte mich, weil sie nicht mehr da war – und weil er mich hart machen
     wollte, damit ich im Leben klarkomme.
    |200| Das ist ihm gelungen.
    Ich habe viel darüber nachgedacht, was er mir angetan hat. Das Schlimmste ist, es nimmt einem die Angst. Die Angst vor den
     Schmerzen. Und davor, Schmerzen zuzufügen. Das war das Wichtigste. Schmerz zu empfinden ist etwas, was einem ganz normal erscheint.
     Man gewöhnt sich daran. Aber Schmerzen zuzufügen – daran gewöhnt man sich nie.
    In Seapoint gab es einen Karateverein in den Räumen der anglikanischen Kirche. Da schickte mein Vater mich hin. Ich hatte
     Probleme mit der Kontrolle. Ich konnte nie verstehen, warum wir innehalten mussten, warum wir den anderen nicht wirklich schlagen
     durften.
    Ich war auf Ärger aus – in der Schule, auf der Straße. Und fand ihn. Ich teilte gern aus. Zum ersten Mal war ich derjenige,
     der Schmerz verursachte. Andere bluten ließ. Knochen brach. Es ist, als träte man aus sich heraus. Oder in etwas anderes herein,
     in eine andere Welt, ein anderes Sein. Die Zeit steht still. Alles verschwindet, man hört nichts und sieht nichts außer einem
     rot-grauen Nebel. Und dieses Ding vor dir, das du zerstören willst mit allem, was du in dir hast.
    Im letzten Schuljahr schlug ich meinen Vater zum ersten Mal. Danach

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