Weißer Schatten
der Isuzu drauf habe, denn er fuhr immer nur Izuzus, und sein letzter hätte sieben Jahre gehalten, vierhunderttausend
Kilometer. Jetzt hatten die Kinder den Hof, er und seine Frau lebten in der Stadt, und er fuhr immer noch einen Isuzu, aber
einen Frontier, denn er brauchte Platz für die Enkel. Und wer ich sei und wo ich herkäme?
Neulich hast du gesagt, dass die Leute einander nicht zuhören … Ich wollte sagen, dass ich anders bin, ich wollte sagen, dass
ich nicht gehört werden will, ich will in Ruhe gelassen werden. Ich glaube, die Hölle, das sind die anderen. So wie Jean-Paul
Sartre es gesagt hat. Aber das wäre gelogen. Ich glaube das nicht wirklich.
Ich hätte sagen sollen, dass du unrecht hast. Ich will nicht gehört werden, Emma, ich will gesehen werden. Einerseits macht
mir das Angst: gesehen werden. Andererseits ist es das, wonach ich mich am meisten sehne. Denn das ist nie passiert. Die Großstadt
ist ein Grund. Die Leute sehen einander nicht in der Großstadt.
In Loxton hat mich jemand gesehen, doch das ist nicht der Grund, warum ich dort hingezogen bin. Ich wollte an einem Ort leben,
wo ich in Sicherheit war, und niemand mich …
Ich habe ein Problem mit dem Jähzorn. Ich musste einen Ort finden, wo man mich nicht provozierte.
Aber es gab auch andere Gründe …
Ich glaube, jeder muss irgendwo hingehören. Ich bin überzeugt, das liegt uns im Blut. Die Anthropologen …
Im Gefängnis habe ich auf einen Abschluss hin studiert – nicht zum ersten Mal. Ich musste der am längsten eingeschriebene
Student in der Geschichte der Unisa sein. Ich habe elf Kurse abgeschlossen, aber nicht alle zum selben Thema. Es ist wie …
Ich fing etwas an, und ein oder zwei Jahre später wollte ich etwas anderes machen. Als ich im Gefängnis war … Ich glaube,
ich lese und studiere, um zu versuchen, zu verstehen, was mit meinem Leben los war. Es hat jedoch nicht geholfen. |195| Man ist, wie man ist. Die Antworten stehen nicht in Büchern. Sie sind in einem selbst.
Es standen aber Dinge in den Büchern, die mich nachdenken ließen. Wie das Bedürfnis, zu etwas zu gehören. Selbst wenn man
weiß, dass das nicht so sein kann. Sie sagen, wir hätten vor langer Zeit in Stammesverbänden gelebt. Später in Sippen. Alle
waren miteinander verwandt. Irgendwo habe ich gelesen, wenn sich zwei Leute im Wald Neuguineas begegnen, diskutieren sie stundenlang
über ihre Vorfahren, um zu klären, wie sie miteinander verwandt sind. Denn sonst müssten sie einander umbringen.
So sind wir. Wenn wir verwandt sind, wenn wir zum selben Stamm gehören, wenn wir etwas gemeinsam haben, sehen wir einander.
Es herrscht Frieden und Ordnung. Aber in der Großstadt bedeuten wir einander nichts. Jeder ist auf sich selbst gestellt.
Als ich ein Kind war, gab es in Seapoint Sippen. Juden, Griechen und Italiener. Jeder gehört zu einer Sippe. Außer mir.
Mein Vater war ein Afrikaaner in Seapoint. Gerhardus Lodewikus Lemmer – Gert, der Mechaniker bei Ford an der Hauptstraße.
So hat er meine Mutter kennengelernt. Sie war englischer Herkunft. Beverly Anne Simmons aus der Ersatzteilbestellung.
Sie war eine schlanke, kleine Frau.
Ihr Vater war Martin Fitzroy Simmons. Mein englischer Großvater. Ich bin ihm nie begegnet, doch ich habe seinen Namen geerbt.
Du hast mir die Geschichte deiner Eltern erzählt, wie dein Vater all das geschafft hat. Mein Vater war nicht so. Dreizehn
Jahre lang hat meine Mutter ihm gesagt, er solle sein eigenes Geschäft aufmachen, aber er wollte nicht. ›Du bist ein guter
Mechaniker. Du kannst ein Vermögen verdienen.‹ Er sagte, er gehe zur Arbeit, und dann gehe er nach Hause, und alle Sorgen
habe der Engländer, dem die Werkstatt gehöre. Wenn man sein eigenes Geschäft führe, dann habe man auch jede Menge Ärger. Er
wollte keinen Ärger haben. Dann sagte meine Mutter, er sei bloß armer weißer Afrikaaner-Dreck. Sie habe nicht |196| geheiratet, um den Rest ihres Lebens in einer Zweizimmerwohnung in Seapoint zu verbringen.
Sie müssen einander geliebt haben – jedenfalls am Anfang. Ich weiß, dass er sie geliebt hat. Das konnte ich sehen.
Ich habe bisher nur einmal von ihnen gesprochen, Emma. Es fällt mir schwer. Manchmal will ich nicht einmal an sie denken.
Beide waren auf ihre Weise schrecklich. Meine Mutter konnte Leute hinters Licht führen und war ein Flittchen, und mein Vater
ein gewalttätiger Feigling. Was macht man, wenn man solche Eltern hat? Was macht man,
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