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Weißer Schatten

Titel: Weißer Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deon Meyer
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gibt, zumindest glaubt man das. Die Warnleuchten gehen aus, und da war auch diese Frustration darüber, wer ich war
     und wo ich herkam. Dreizehn Jahre hatte ich sie unterdrückt.
    Ich ließ es alles heraus.
    Der Große, Vincent, er …«
    Obwohl Emma mich nicht hören konnte, sich nicht erinnern würde, wählte ich meine Worte sorgfältig.
    »Er starb«, sagte ich. »Sie klagten mich wegen Totschlags an. Mit mildernden Umständen. Ich wurde zu sechs Jahren verurteilt.
     Habe vier abgesessen.«
    Danach saß ich lange neben ihrem Bett, ohne etwas zu sagen. Zehn, vielleicht zwanzig Minuten.
    Ich war mir dessen bewusst, was ungesagt blieb.
    Vince – er fiel und schlug sich den Kopf am Golf. Ich hatte ihn geschlagen, voller Wut und Hass, mit all meiner Kraft, drei-,
     vier-, fünfmal. Er kippte zurück und krachte mit der Rückseite des Schädels gegen den rechten vorderen Kotflügel seines Wagens.
     Ich kann immer noch das Geräusch hören, dieses hohle, harte Knacken.
    |211| Er lag vier Tage im Koma. Hirnschaden. Kemp hatte Worte wie parietal und epidurales Hämatom mit größtem Missfallen verwendet.
     Und dann starb Vince.
    Und noch etwas, etwas, was ich nicht Kemp gesagt hatte, dem Anwalt, und auch nicht dem Richter, überhaupt niemandem.
    Wie schön es gewesen war – diese Augenblicke, in denen ich frei war, in denen ich treten und schlagen, Schmerzen zufügen konnte,
     brechen und
bliksem
konnte. Als ich Vince tötete und die anderen drei zusammenschlug, bis sie um Gnade flehten, öffnete sich mir die Tür zur Glückseligkeit.
     Ich war eins mit der Welt, ganz und vollkommen. Das ist schrecklich. Es vergiftet einen – es macht süchtig.
    Und es ist so wunderschön.

|212| 26
    Doktor Eleanor Taljaard kam und vertrieb mich kurz nach zwölf. Sie sah erholt aus. »Ich muss jetzt hier arbeiten, und es ist
     Mittagszeit. Koos wartet im Restaurant auf Sie. Maggie hat in Ihrem Zimmer eine Nachricht hinterlassen. Sie können um zwei
     zurückkommen.«
    »Okay, Eleanor.«
    »Das haben Sie gut gemacht.«
    Hatte ich?
    Im Restaurant war es voll. »Sonntag«, sagte Doktor Koos Taljaard. »Der Tag des schlechten Gewissens. Man besucht die Kranken.«
    Bei geschmacklosem Hühnchenschnitzel mit Käsesauce erzählte er mir, dass sie sechzehn Jahre in Nelspruit gewesen waren – erst
     in der Provinzklinik, dann an der SouthMed Clinic.
    »In all diesen Jahren hatten wir nie einen Patienten, der wegen einer Schusswunde aus einem Zug gefallen ist.«
    Ich sah ihn nur an und kaute weiter.
    »Was ist passiert?«, fragte er.
    »Jemand war wütend auf uns.«
    »Aber warum? Wie kann jemand
so
wütend sein?«
    »Ich weiß nicht.«
    Er schaute mich ungläubig an. »Es stimmt«, sagte ich.
    »Normalerweise reagieren Leute nicht so«, sagte er.
    »Ich weiß.« Die Frage war: Wer hatte es getan? Und warum?
    Auf meinem Zimmer lag ein weiterer getippter Brief von Maggie T. Padayachee. Mit den Schlüsseln eines Autos.
     
    |213|
Sehr geehrter Mr. Lemmer,
    Budget Car Rental hat einen silbernen Audi A4 für Sie abgegeben. Er steht in der Nähe des Tors.
    Außerdem hat eine Ms. Jeanette Louw angerufen und bittet darum, dass Sie, wann immer es Ihnen möglich ist, zurückrufen

auf ihrem Handy.
    Mit den allerbesten Wünschen
    Maggie T. Padayachee
    Leitung Kundenservice
     
    Ich rief Jeanette an.
    »Danke für den Wagen.«
    »War mir ein Vergnügen. Sie haben gesagt, es gehe Emma besser.«
    »Ja, das sagen sie.«
    »Und du? Wie geht es dir heute?«
    »Mit mir ist alles in Ordnung.«
    »Die Flüge sind voll, Lemmer. Das ganze Land fliegt zu Neujahr irgendwohin. Wir können erst morgen kommen.«
    »Wir?«
    »Ich bringe Fikter und Minnaar mit.«
    »Oh.« Es war ungewöhnlich, dass sie selbst kam. Sie hörte meine Überraschung.
    »Du weißt doch, wie das Kap zur Weihnachtszeit ist, voll mit Gautengern und Ausländern. Ich war schon ewig nicht im Lowveld.«
    »Wann kommt ihr?«
    »Wir sind gegen Mittag da. Ich bringe dir ein Weihnachtsgeschenk mit. Ich hoffe, es ist, was du wolltest.«
    »Danke.«
    »Das ist das Mindeste, was ich tun kann.«
    Wie eigenartig, dachte ich mir.
     
    »Emmas Zustand ist stabil genug, um heute Nachmittag die Scans durchzuführen«, sagte Eleanor Taljaard, als ich um zwei zurück
     auf die Intensivstation kam. »Sie haben Dienst bis vier.«
    |214| Ich setzte mich. Emma war immer noch blass und fahl unter den Laken.
    »Hallo, Emma.«
    Man hatte den Beutel an ihrem Tropf ausgetauscht. Er hing dick und durchsichtig über ihrem

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