Weißer Schatten
Bett.
»Ich war beim Mittagessen. Hühnchenschnitzel. Nicht gerade Mohlolobe-Standard. Dann habe ich Jeanette Louw angerufen. Sie
kommt morgen mit zwei Bodyguards. Sie werden hier auf dich aufpassen, Emma. Bis ich fertig bin.«
Fertig. Fertig mit was? Ich hatte nicht die geringste Ahnung, wo ich anfangen sollte. Ich saß neben einer Frau, die ich kaum
kannte, verspürte den Drang, jemandem den Schädel einzuschlagen, und hatte keine Ahnung, was ich nun machen sollte.
Ich wollte mich in mein Bett legen, die Augen schließen und überlegen, wo Emma und ich gewesen waren, ich wollte mir alle
Kleinigkeiten noch einmal durch den Kopf gehen lassen. Ich hatte ihr nicht geglaubt, als ich es hätte tun sollen. Ich hatte
nicht zugehört, nicht hingesehen, nicht aufgepasst. Jetzt geisterten Dinge durch meinen Kopf, die nicht zusammenpassten und
die ich auch nicht richtig zu fassen bekam. Wie Seife in der Badewanne entglitten sie mir immer wieder, wenn ich die Hand
um sie schließen wollte. Ich musste nachdenken. Das Ganze ergab keinen Sinn. Jedenfalls nicht genug, um Emma le Roux umzubringen.
Was hatte sie getan? Welches Böse hatte sie aufgestört?
Handschuhe? Im Sommer? Im Lowveld? Handschuhe und Balaclavas, aber der Scharfschütze hatte keine getragen.
In Kapstadt waren es drei gewesen, doch alle drei waren getarnt. Hatten sie auch Handschuhe getragen? Wahrscheinlich, sie
wollten keine Fingerabdrücke hinterlassen. Aber im
veld
?
Und warum erst gestern? Warum hatten sie gewartet? Mussten sie erst vom Kap hochkommen?
Ich versuchte, die Ereignisse in die richtige Abfolge zu bringen. Emma sagte, die Nachrichtensendung über Cobie sei zwei Tage
vor dem Angriff auf sie am Kap gelaufen. Also drei Tage vor Weihnachten. Am Samstag, den 22. Dezember.
|215| Zwei Tage. Warum die Verzögerung zwischen dem Anruf bei Phatudi und dem Angriff am Kap? Was hatte das zu bedeuten?
Wir waren am 26. Dezember hier angekommen. Ein, zwei, drei, vier Tage vor der Falle.
Hatte das etwas zu bedeuten?
Ich musste mit Emma reden. Ich konnte nicht einfach nur hier sitzen. Sie musste meine Stimme hören.
Wo war ich stehengeblieben? Jeanette. Unterwegs hierher.
»Jeanette …«, sagte ich.
»Ich war seit zwei Monaten in Loxton, als das Telefon klingelte. Es war Jeanette Louw, die fragte, ob ich nach Arbeit suchte.
Ich hatte nicht viel auf der Bank. Ich hatte die Wohnung in Seapoint mit gutem Gewinn verkauft, aber meine Anwaltskosten und
der Kauf des Al-Qaeda-Hauses … Also fragte ich: ›Was für Arbeit?‹ Sie erklärte es mir.
Ich fragte, wie sie von mir erfahren hatte, und sie sagte: ›Ein oder zwei Ihrer alten Kollegen halten große Stücke auf Sie.‹
›Ich bin gerade aus dem Gefängnis gekommen.‹
›Ich will Sie nicht heiraten, ich will Ihnen einen Job anbieten.‹ Dann erklärte Jeanette mir, wie es funktionierte, wie viel
sie bezahlte. ›Sie sollten es wissen, ich bin eine Lesbe und lasse mich von niemand verarschen. Wenn ich Sie anrufe, kommen
Sie – sofort. Wenn Sie Scheiße bauen, feuere ich Sie – sofort. Aber ich lasse meine Leute nie im Stich. Interesse?‹
Ich nahm an, denn ich sah mich in meinem Haus um und wusste, wie viel getan werden musste. Ich hatte nicht einmal damit angefangen
umzubauen. Das Haus war leer. Ich hatte ein Bett und in der Küche einen Tisch mit zwei Stühlen. Ich hatte den Tisch in Victoria
West auf einer Auktion gekauft, die beiden Stühle hatte ich von Antjie Barnard als Geschenk bekommen.
Antjie – sie ist auch so jemand. Ich nannte sie ›Tannie‹, ich wollte nur höflich sein, und sie drohte, mich mit ihrem Gehstock
zu schlagen.
|216| Das ist eine eigene Geschichte. Antjie Barnard hat einfach an einem Sonntag um vier Uhr nachmittags an meiner Tür in Loxton
geklopft. Sie trug dicke Wanderstiefel und einen breitkrempigen Hut. Sie sagte: ›Ich bin Antjie Barnard, und ich möchte gern
wissen, wer Sie sind.‹ Sie war damals siebenundsechzig, und man konnte sehen, dass sie eine nette Frau war, wahrscheinlich
hübsch, als sie jung gewesen war, grüne Augen in einem ungewöhnlichen Ton, wie das Meer am Südpol. Sie streckte die Hand aus,
und ich schüttelte sie und sagte: ›Lemmer – nett, Sie kennenzulernen,
Tannie
.‹
›
Tannie? Tannie?
Bin ich mit Ihrem Onkel verheiratet?‹ Sie hob den Gehstock, als wollte sie mich schlagen. ›Mein Name ist Antjie.‹
›Antjie.‹
›Genau. Und wie nenne ich Sie?‹
›Lemmer.‹
›Also gut, Lemmer, dann
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