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Weisser Schrecken

Weisser Schrecken

Titel: Weisser Schrecken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Finn
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verschwundenen Kinder Kontakt aufgenommen. Ich … ich hab sie gestern sogar gesehen. Auf dem Eis. Wenn es aber Geister gibt, dann muss es doch auch so etwas wie eine Seele geben, oder? Und wenn es eine Seele gibt, dann … dann …«
    »Also glaubst du daran, dass wir wiedergeboren wurden?«
    »Ja, verdammt, das glaube ich«, zischte Elke. »Denkst du, ich hätte Andy vorhin umsonst so angemacht?« Ehrlich gesagt hatte sie schon oft darüber nachgedacht, ob mit dem Tod wirklich alles aus und vorbei war. Doch irgendwie hatte der Gedanke an Wiedergeburt nun so gar nichts Tröstliches mehr an sich. Elke musste nicht einmal an das gespenstische Foto zurückdenken. Es reichte die Vorstellung an das kalte und verlassene Zimmer nebenan. Jenes Zimmer, neben dem sie und Miriam all die Jahre über gelebt hatten, ohne es zu bemerken. Dieses Zimmer war wie eine Gruft. Wie ein Fenster in ein Leben, von dem sie praktisch nichts wussten. »Warum fragst du?«
    Miriam kletterte aus ihrem Bett, huschte rüber und kuschelte sich nun zu ihr unter die Decke. Ihr Körper war kalt. Und sie zitterte leicht. Elke schmiegte sich an Miriam, denn ihr ging es nichts anders. Eine Weile blieben die beiden Mädchen aneinandergekuschelt liegen, doch Elke war schon wieder nach Heulen zumute.
    »Ich frage deswegen, weil …«
    »Weil was?« Elke drehte sich zu ihrer Schwester um und legte die Hände unter ihre Wange. Miriams Gesicht war nun kaum eine Handbreit von dem ihren entfernt. »Weil wir dann eine Aufgabe zu erfüllen haben«, flüsterte ihre Schwester. »Und weil uns die Zeit davonläuft.«
    Elke antwortete nicht.
    »Vielleicht ist es möglich, unsere alten Erinnerungen wieder aufzufrischen?«, wisperte Miriam.
    »Wie soll das möglich sein?«, antwortete Elke. Ihre Stimme war wie ein Hauch.
    »Durch Hypnose. Man nennt das Rückführung. Im April, da … da war bei Schreinemakers im Fernsehen mal so ein Typ zu Gast, der das mit den Leuten gemacht hat. Der hat auch an Reinkarnation geglaubt.«
    »Wir sind aber nicht dieser Typ.« Elke zitterte. »Außerdem wissen wir gar nicht, wie so etwas geht.«
    »Ich erinnere mich schon noch ein bisschen. Außerdem haben wir doch das Zimmer drüben. Das hilft uns vielleicht dabei.«
    »Hast du denn gar keine Angst?«
    Miriam zögerte. »Doch«, flüsterte sie. »Aber nach allem, was wir heute Nacht erlebt haben, fühle ich auch, das wir nicht allein sind.«
    »Und wenn doch?« Elkes Augen füllten sich mit Tränen, die sich jetzt einfach nicht mehr unterdrücken ließen. Miriam nahm sie beruhigend in den Arm und streichelte ihr über das Haar. »Du bist doch sonst immer die Starke von uns beiden?«
    »Ich weiß.«
    »Du darfst die Hoffnung nicht verlieren. Wo Schatten ist, ist immer auch Licht.«
    »Ich sehe dieses Licht nicht«, schluchzte Elke. Sie lauschte verzweifelt in sich, doch da war nur Leere. »Etwas Fürchterliches wird geschehen, Miriam. Ich fühle es. Ganz tief in mir drin. Etwas ganz und gar Fürchterliches.«

Mauern
    Die Skistöcke fest im Griff, marschierten Andreas und Robert auf ihren Brettern den schmalen Waldpfad entlang. Perchtal hatten sie längst hinter sich gelassen. Die kalte Nachtluft stach schmerzhaft in ihre Lungen, und der allgegenwärtige Geruch nach Tannennadeln und Schnee, den Andreas sonst so gern mochte, hatte nichts Beruhigendes an sich. Im Gegenteil. Hier, so tief im Wald, war ihm nach den mitternächtlichen Ereignissen alles andere als geheuer zumute. Und doch spürte er mit jeder Faser seines Körpers, dass sie den Zwischenfall im Bootshaus nicht auf sich beruhen lassen durften. Sein Instinkt schrie ihm förmlich zu, dass ihnen die Zeit zwischen den Fingern zerrann. Und das, obwohl er immer noch nicht wusste, wie er die Erlebnisse während des Gläserrückens und diesen zutiefst verstörenden Angriff auf das Bootshaus in einen Zusammenhang bringen sollte. Und jetzt schienen neben vielen der Erwachsenen auch noch Konrad und seine Bande irgendwie in die Sache verwickelt zu sein. Wenn das so weiterging, wurden sie noch alle verrückt werden.
    Das Mondlicht reichte gerade aus, um den vor ihnen liegenden Weg zu beleuchten, der sich über manche Höhe hinweg und an bewaldeten Hängen vorbei durch den Forst schlängelte. Die Spuren, die Konrad und seine Bande auf der Schneedecke zurückgelassen hatten, waren trotz des herabrieselnden Neuschnees gut zu erkennen. Erst vor zehn Minuten waren die Spuren vom Hauptpfad abgezweigt und sie befanden sich nun in einem Waldgebiet, in

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